Reformer im Iran hoffen heute auf die stille Mehrheit

Teheran. Mit dem Atom-Abkommen hat sich der Iran gerade aus der internationalen Isolation und von den lähmenden Sanktionen befreit. Auf einmal ist der einstige Schurkenstaat auch Partner des Westens bei Krisen wie in Syrien.

Noch ist der Kurs von Präsident Hassan Ruhani, dem Architekten der Reformen, nicht gefestigt. Ruhani hat viele Kritiker, besonders im Parlament, das seit drei Legislaturperioden von Konservativen und Hardlinern dominiert wird. Aber schon heute könnte der Präsident bei der Parlamentswahl viele dieser Kritiker loswerden. Vor allem die Aufhebung des Wirtschaftsembargos hat im Land für gute Stimmung gesorgt. Der Zeitpunkt der Umsetzung - sechs Wochen vor der Wahl - passte perfekt in den Plan Ruhanis und der Reformer .

Bei der Parlamentswahl dürften sie sich einen Dreikampf mit den Konservativen und den Hardlinern liefern. Deren fast zwölfjährige Koalition - die auch mal dem ehemaligen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad nahestand - war in den letzten Jahren aber alles andere als harmonisch. Das macht die Reformer zuversichtlich. Sie hoffen, den Erfolg zu wiederholen, der die Wahl Ruhanis 2013 darstellte.

Aber auch in dessen Lager soll es Zoff geben. Da stehen Realpolitiker um den Präsidenten - die lediglich Reformen innerhalb des Systems wollen - dem radikalen Flügel gegenüber, der in der Islamischen Republik mehr Republik und weniger Islam will.

Entscheidend wird sein, ob sich die moderaten Flügel der Konservativen - angeführt von Parlamentspräsident Ali Laridschani - und der Reformer auf eine Koalition einigen können.

Anfang Februar sah es für die Hardliner noch gut aus. Der Wächterrat, ein erzkonservatives Kontrollgremium, disqualifizierte angeblich 99 Prozent der Reformkandidaten. 1400 Reformer wurden nicht zuletzt auf Druck Ruhanis schließlich aber doch zugelassen. Weil eine hohe Wahlbeteiligung das Reformlager begünstigen könnte, appellierte Ruhani an die stille Mehrheit im Land. Sie solle mithelfen, das Land politisch zu erneuern.

Diese Erneuerung hat aber Grenzen, die auch bei der zweiten Wahl, die heute ansteht, nicht deutlich verschoben werden dürften. Dem Expertenrat, dessen 88 Mitglieder aus ranghohen Geistlichen heute vom Volk bestimmt werden, könnte in seiner achtjährigen Amtszeit die Aufgabe zukommen, einen Nachfolger des heute 76-jährigen geistlichen Oberhaupts Ayatollah Ali Chamenei zu wählen. Das geistliche Oberhaupt hat im System der Islamischen Republik eine zentrale Bedeutung, besetzt wichtige Posten in Militär, Justiz und Medien, hat de facto auch in der Politik das letzte Wort. Das politische Lager, das bei der Wahl heute die Mehrheit holt, hätte gute Chancen, über die Wahl eines Nachfolgers auf lange Sicht die Politik zu bestimmen. Wie bei der Parlamentswahl hat der Wächterrat auch viele reformorientierte Kandidaten für den Expertenrat ausgeschlossen. Selbst Hassan Khomeini, der 43-jährige Enkel des Staatsgründers Ayatollah Ruhollah Khomeini, wurde nicht zur Wahl zugelassen.

Khomeini steht Präsident Ruhani und dem früheren Präsidenten Akbar Haschemi Rafsandschani nahe. Sie gehören seit langem dem Expertenrat an und wurden auch jetzt zur Wahl zugelassen. Doch ohne ausreichend Verbündete dürften sie in Zukunft gegenüber den Konservativen weiter den Kürzeren ziehen.

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