Politische Spiele

Allen gegenteiligen Bemühungen des Internationalen Olympischen Komitees zum Trotz: Sport ist politisch. Das ist keineswegs neu.

Bereits bei den letzten Olympischen Spielen auf russischem Boden, im Jahr 1980, wurden die Wettkämpfe der Athleten durch den Einmarsch sowjetischer Truppen in Afghanistan in den Hintergrund gedrängt. Die Winterspiele von Sotschi wiederum, die heute in der Schwarzmeer-Stadt eröffnet werden, wurden bereits im Vorfeld in beispiellosem Ausmaß instrumentalisiert. Von Kremlchef Wladimir Putin, der das Sportfest gern als Leistungsschau einer wiedererstarkten Großmacht sehen möchte. Aber auch von einer bunten Koalition aus Menschenrechtlern, Umweltschützern und Meinungsmachern im Westen. Ihnen bietet Olympia einen willkommenen Anlass, Moskau für vermeintliche und tatsächliche Missstände an den Pranger zu stellen.

Es stimmt: Der olympische Fackellauf in Russland fand zu Teilen in sprichwörtlichen Potemkinschen Dörfern statt; für die Fernsehbilder waren verfallene Holzhäuser schnell mit einer künstlichen Fassade versehen worden. Doch umgekehrt schuf die Summe der - im Kern sehr berechtigten - westlichen Kritik an der Ausgrenzung von Homosexuellen, der Ausbeutung ausländischer Arbeiter und dem Ausverkauf einer einzigartigen Natur- und Bergwelt doch auch ein negatives Zerrbild des Gastgeberlandes. Ein Bild, in dem sich selbst zahlreiche kritisch eingestellte Russen kaum wiedererkennen mochten.

Die Entfremdung zwischen Moskau und dem Westen ist heute so groß wie lange nicht mehr. Russland hat in den bald 15 Jahren unter Wladimir Putin einen grundlegend anderen Entwicklungsweg eingeschlagen, als viele in Deutschland es sich erhofft hätten. Grund dafür sind nicht zuletzt die negativen Erfahrungen der Jelzin-Zeit, der wilden und teils anarchistischen 1990er Jahre. Die damals gepredigten "westlichen Werte" werden seither eher mit einem Verfall des Staates und der grenzenlosen Bereicherung Einzelner in Verbindung gebracht. Inzwischen schlägt das Pendel in die andere Richtung aus.

Milliarden-Investitionen und Korruption rund um Olympia mögen in den größten russischen Fernsehkanälen kein Thema sein, in der Bevölkerung kritisch diskutiert werden sie dennoch. Gleichzeitig sind die Menschen stolz auf das Erreichte, und diesen Stolz gilt es zu respektieren. Denn Sport ist - zum Glück - auch nicht ausschließlich Politik. Sport ist immer auch Begegnung. Russland und Europa sind aufeinander angewiesen. Vor diesem Hintergrund können die Olympischen Spiele für viele Menschen auch eine Chance bieten, endlich wieder miteinander zu reden und von der Lebenswirklichkeit der Anderen zu lernen, anstatt sich gegenseitig über das vermeintlich richtige Leben zu belehren.

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