"Versicherte zahlen mehr als notwendig"

Herr Lauterbach, wie konnte es zu der stattlichen Finanzreserve der Krankenkassen kommen?Lauterbach: Der Hauptgrund ist die Rekordbeschäftigung in Deutschland. Dadurch haben die Kassen unerwartet hohe Beitragseinnahmen. Ich rechne damit, dass der Überschuss noch weiter steigen wird. Das gilt auch dann, wenn sich die Konjunktur wieder eintrübt

Herr Lauterbach, wie konnte es zu der stattlichen Finanzreserve der Krankenkassen kommen?Lauterbach: Der Hauptgrund ist die Rekordbeschäftigung in Deutschland. Dadurch haben die Kassen unerwartet hohe Beitragseinnahmen. Ich rechne damit, dass der Überschuss noch weiter steigen wird. Das gilt auch dann, wenn sich die Konjunktur wieder eintrübt. Vorraussetzung ist, dass das derzeit hohe Beschäftigungsniveau stabil bleibt.

Die Kassen haben ihre Versicherten also nicht abgezockt, wie man vermuten könnte?

Lauterbach: Nein. Der Einheitsbeitrag von 15,5 Prozent ist so gewählt worden, als hätten wir die Massenarbeitslosigkeit noch. Er ist zu hoch. Deshalb nehmen die Kassen dauerhaft mehr Geld ein, als sie eigentlich brauchen.

Gesundheitsminister Bahr hat an die Kassen appelliert, ihren Versicherten die Überschüsse in Form von Prämien zurückzugeben. Eine kluge Idee?

Lauterbach: Warum diese bürokratische Lösung wählen, wenn der Beitragsatz zu hoch ist? Das versteht kein Mensch.

Viele Menschen finden aber, dass die gesundheitliche Versorgung noch verbessert werden könnte. Wären die Überschüsse dafür gut angelegtes Geld?

Lauterbach: Es ist ein Irrtum, zu glauben, dass die Versorgung besser wird, wenn mehr Geld ins System kommt. In vielen Bereichen sind die Aufwendungen schon jetzt enorm. Aber die Qualität hat sich nicht verbessert. Oft ist es sogar umgekehrt: Durch Ineffizienz und Verschwendung sinkt die Qualität des Gesundheitssytems.

Es gibt Spekulationen, die Überschüsse könnten auch in die Förderung der geplanten privaten Zusatz-Pflegeversicherung gesteckt werden.

Lauterbach: Das wäre die schlechteste aller Lösungen. Denn damit würden wir die guten und sicheren Einnahmen der Krankenkassen verwenden, um Spekulationen an den Geldmärkten zu betreiben. Eine private Extra-Pflegeversicherung stößt bei vielen Menschen ohnehin auf Ablehnung, weil sie die riesige Geldvernichtung durch die letzte Finanzkrise noch nicht vergessen haben.

Haben Sie Verständnis für die Krankenkassen, die die Überschüsse für schlechte Zeiten horten wollen?

Lauterbach: Verständnis ja, aber dieses Verhalten ist nicht gerechtfertigt. Denn es handelt sich um Geld der Versicherten. Sie werden derzeit gezwungen, mehr Beiträge als notwendig an die Kassen abzuführen.

Was soll mit dem Milliarden-Polster geschehen?

Lauterbach: Wir müssen ganz wegkommen vom Einheitsbeitragssatz, denn er lähmt den Wettbewerb zwischen den Kassen. Würde der Einheitsbeitrag abgeschafft, dann könnte jede Kasse wieder für sich selbst einen Beitragssatz festlegen. Ich gehe davon aus, dass von den rund 140 Krankenkassen mehr als 50 den Beitrag sofort senken würden. Dadurch wären auch die hohen Überschüsse schnell verschwunden.Foto: Knosowski/dpa

Hintergrund

Der Sozialverband VdK Saar plädiert dafür, die derzeit gute finanzielle Lage der Krankenkassen sinnvoll zu nutzen und mehr Mittel für Prävention und Rehabilitation zur Verfügung zu stellen. "Die schlechte Kassenlage war ja immer das Argument, um solche Maßnahmen herunterzufahren, das Argument gilt jetzt nicht mehr", sagte der VdK-Landesvorsitzende Armin Lang. red

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