Zwei Ärzte aus Abu Dhabi verstehen die Saarländer

Saarbrücken · Yaman und Yachar Shehabi haben ein gemeinsames Ziel: Sie wollen Fachärzte werden – und zwar im Saarland. Deshalb lernen sie täglich Deutsch, auch wenn es sie manchmal „wahnsinnig“ macht. Sie wissen: Die Sprache ist der Schlüssel zum Patienten.

 Im weißen Kittel und mit Stethoskop um den Hals machen Yaman und Yachar Shehabi in den Völklinger SHG-Kliniken ihre ersten Schritte im Berufsleben eines Arztes.

Im weißen Kittel und mit Stethoskop um den Hals machen Yaman und Yachar Shehabi in den Völklinger SHG-Kliniken ihre ersten Schritte im Berufsleben eines Arztes.

"Herr Doktor, ich bin zu Ihnen gekommen, weil ich unter starke Schmerzen leide", sagt Yaman Shehabi. Er hält sich den Bauch. Erwartungsvoll blickt er den Mann auf der anderen Seite des Tisches an. "Ist das Schmerz intermittierend . . . nein, wie sagt man . . . kommt es und geht es?", fragt Yachar Shehabi. Der Patient nickt. "Es kommt und geht, und es strahlt nach rechts aus", sagt er. "Gut, dann möchte ich dich . . . Sie jetzt untersuchen."

"Deutsch ist wirklich eine komplizierte Sprache. Die Artikel und Geschlechter machen mich wahnsinnig", gesteht Yaman Shehabi nach der Übung "Patientengespräch". Doch der 27-Jährige lacht dabei. Seit acht Monaten lernen er und sein Zwillingsbruder Yachar am privaten Bildungscenter JBF in Sulzbach Deutsch und bereiten sich auf alltägliche Situationen ihres Berufs vor. Sie sind in Syrien und Abu Dhabi aufgewachsen und haben im vergangenen Jahr ihr Medizinstudium beendet. Jetzt träumen sie von einer Facharztausbildung in Deutschland. Sie wissen: Ohne die Sprache zu können, wird das nichts. Die beiden sind schon weit gekommen. Sie können sich fließend unterhalten, ihr Wortschatz wächst täglich. Nur bei den Feinheiten hakt es noch.

Yaman und Yachar Shehabi werden im Saarland gebraucht. Der Ärztemangel macht sich hierzulande noch stärker als anderswo bemerkbar. Vor allem die Hausärzte auf dem Land finden oft keinen Nachfolger. Aber auch an den Kliniken sind Stellen zu besetzen. Die Zahl der ausländischen Ärzte, die im Saarland arbeiten, ist in den vergangenen Jahren stetig gestiegen, in Krankenhäusern seit 2007 sogar um fast 40 Prozent. Insgesamt machen Migranten etwa ein Viertel der saarländischen Ärzteschaft aus, bundesweit sogar die Hälfte. Eine Debatte über Sprachkenntnisse ließ da nicht lange auf sich warten. Dass ihr Arzt sie womöglich nicht versteht, ängstigt die Patienten . Schließlich könnten Missverständnisse fatal enden. Die Gesundheitsminister der Länder haben deshalb im Juni beschlossen, das erforderliche Sprach-Niveau anzuheben.

Die ausländischen Kollegen zu integrieren, wird eine der großen Herausforderungen der kommenden Jahre, sagt Josef Mischo, Präsident der saarländischen Ärztekammer. "Deshalb gibt es bei uns jetzt einen eigenen Ausschuss für die Belange ausländischer Ärzte", sagt er. "Wir wollen herausfinden, wie wir helfen können, welche Ansprüche die Kollegen an uns haben und welche wir an sie."

Manche Bildungsträger bieten inzwischen spezielle Programme für Ärzte an. Das JBF-Bildungscenter begleitet sie von der Ankunft im Saarland bis zum Arbeitsbeginn: Neben vier Stunden Sprachunterricht täglich kümmert es sich auch um Aufenthaltsgenehmigung, Berufserlaubnis und Stellensuche. "Wir tun alles, um den Ärzten beim Start zu helfen", sagt Geschäftsführerin Ina Henning. Wobei es nicht nur um Lehrbücher und Anträge gehen soll. Die Neu-Saarländer sollen in der Gesellschaft ankommen. Damit das klappt, "werfen wir sie auch mal ins kalte Wasser", sagt Henning lachend. So auch an diesem Abend . . .

Gibt es in Somalia genauso viele Ziegen wie Einwohner? Geht es in 90 Prozent der Beatles-Songs um Liebe? Am Tisch wird heftig diskutiert. Yachar und Yaman Shehabi mittendrin. Sie schreien über die laute Musik hinweg, gestikulieren, argumentieren. Quiz-Abend im Irish Pub am St. Johanner Markt in Saarbrücken . Es läuft die letzte Runde, es geht um den Sieg. JBF-Kommunikationstrainerin Pascale Mayer nimmt "ihre" Ärzte regelmäßig mit, wenn sie und ihre Freunde zum Pub-Quiz gehen. "Es ist wichtig, dass sie nicht nur im Unterricht die Sprache lernen", sagt sie. "Sie müssen so bald wie möglich unter Menschen kommen und Kontakte knüpfen."

Auch Krankenhäuser helfen mit, den Ärzten den Einstieg zu erleichtern. Die DRK-Klinik in Saarlouis stellt Medizinern mit ausländischen Wurzeln Mentoren zur Seite - Oberärzte , die die neuen Kollegen unterstützen. Außerdem gibt es Sprach-Unterricht und Fortbildungskurse mit Dolmetscher. Die SHG-Kliniken in Völklingen, an denen rund 30 von 160 Medizinern ausländische Wurzeln haben, kümmern sich auch um die Familien der Ärzte. "Wir wollen eine echte Willkommenskultur bieten und auch Frau und Kindern helfen, sich hier zu verwurzeln", sagt Martina Koch von der Service-Stelle Familie und Beruf. Dazu gehört die Betreuung der Kinder im Familienhaus "Sterntaler" sowie Hilfe bei der Wohnungssuche oder, Kontakt zu Vereinen herzustellen.

Ortswechsel: Der "heiße Stuhl" wackelt. Der Sitz schwingt hin und her, hin und her. Yaman Shehabi knetet seine Hände. Aber er sitzt aufrecht und blickt sein Gegenüber offen und freundlich an. Immer wieder huscht ein Lächeln über sein Gesicht, als er über sich erzählt. Was seine Stärken sind? "Ich bin bereit, alles zu geben, was in meiner Macht steht", sagt er. "Ich werde auch immer pünktlich sein." An dieser Stelle lacht Pascale Mayer. "Das brauchst du nicht zu erwähnen, das wird in Deutschland vorausgesetzt." Die Kommunikationstrainerin übt heute mit ihrem Kurs Bewerbungsgespräche. Schnell wird klar, dass es nicht nur auf die Sprache ankommt, wenn man in einem fremden Land bestehen will. Kulturelle Missverständnisse lauern überall. "Es ist mir eine Ehre, Sie kennenzulernen", sagt Yachar Shehabi, als er an der Reihe ist. "Personalchefin" Mayer hakt ein: "Das ist fast ein Tick zu viel." Der junge Arzt nickt mit einem verlegenen Grinsen. "Ich habe das mal zu den Nachbarn gesagt, die haben auch ganz komisch reagiert."

Schon am nächsten Tag wird es für die Shehabis ernst. Sie haben ein Vorstellungsgespräch an den SHG-Kliniken in Völklingen, die auf Herzerkrankungen spezialisiert sind. Kardiologie ist die Fachrichtung, die die beiden Ärzte anstreben. Und sie schaffen es tatsächlich. Bei einer Hospitation dürfen sie die Arbeit in der Klinik kennenlernen. Eine Woche später laufen sie durch die Gänge des Krankenhauses und bewundern die moderne Einrichtung, die abstrakten Gemälde, die bunten Sitzgruppen im Foyer. Es ist 7.30 Uhr, der erste Arbeitstag für die Zwillinge. Sie tragen weiße Kittel, mit dem Emblem ihrer Uni in Deratiah in der Nähe von Damaskus eingestickt. Um den Hals hängt ein Stethoskop. Das Abenteuer Berufsleben in Deutschland beginnt.

 Feierabend für die Shehabi-Zwillinge: In einem Irish Pub in Saarbrücken knüpfen die beiden Neu-Saarländer Kontakte. Fotos: Rich Serra

Feierabend für die Shehabi-Zwillinge: In einem Irish Pub in Saarbrücken knüpfen die beiden Neu-Saarländer Kontakte. Fotos: Rich Serra

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HintergrundWG dringend gesucht: Damit sie schnell Anschluss finden, sucht das JBF-Bildungscenter für seine Studenten Wohnmöglichkeiten in Familien, WGs oder bei alleinstehenden Personen. Besonders akut ist die Suche, seit das Wohnheim, in dem die Ärzte sonst untergebracht sind, geschlossen wurde. Bei Interesse: Telefon (0 68 97) 7 78 07 20. mast

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