Seenotretter sitzen fest Zwangspause am Mittelmeer

Valletta · Deutsche Seenotretter sitzen in Malta fest – und hadern mit der EU-Flüchtlingspolitik.

 Warten vor Malta: Neeske Beckmann gehört zur Crew des Rettungsschiffs „Lifeline“, das wegen Vorwürfen nicht auslaufen darf.

Warten vor Malta: Neeske Beckmann gehört zur Crew des Rettungsschiffs „Lifeline“, das wegen Vorwürfen nicht auslaufen darf.

Foto: dpa/Annette Schneider-Solis

Die Sonne brennt gnadenlos. Am Hafen, hinter einem Zaun und von der Polizei bewacht, liegt die „Lifeline“. Das Rettungsschiff der Dresdener Nichtregierungsorganisation (NGO) „Mission Lifeline“ darf nicht auslaufen, seit es Ende Juni nach einer Odyssee mit 234 Geflüchteten an Bord endlich anlegen durfte. Das Ende der Irrfahrt dauert also an.

Die Crew besteht aus knapp zwanzig Freiwilligen, die Jüngsten keine 20, der Älteste über 70. Manche haben den Job gekündigt, ihr Studium unterbrochen, andere Urlaub genommen. Sie alle heuerten an, um Menschen vor dem Ertrinken zu retten. Menschen, die sich mit untauglichen Booten auf den Weg von Afrika nach Europa gemacht haben.

Für Neeske Beckmann ist es die zweite Mission. Im Frühjahr war die Hildesheimerin mit der „Sea-eye“ vor Libyens Küste unterwegs. Die See war rau, der Wind drückte die Schlauchboote zurück. Dann meldete die Koordinierungsstelle für Seenotrettung MRCC in Rom ein Boot in Seenot. Als die „Sea-Eye“ ankam, hatte die libysche Küstenwache die Menschen bereits geborgen und das Boot zerstört. „Wir konnten nur zugucken, wie sie zurück nach Libyen gebracht wurden, obwohl das gegen internationales Seerecht verstößt“, erinnert sich die Helferin. Laut Seerecht müssen Menschen in Seenot in den nächsten sicheren Hafen gebracht werden. „In Libyen erwarten sie Gewalt, Vergewaltigung und Versklavung“, sagt Beckmann. „Danach war klar, dass ich wiederkomme. Was hier passiert, lässt mich seitdem nicht mehr los.“

 Claus-Peter Reisch, auf Malta angeklagter „Lifeline“-Kapitän, durfte gegen Kaution zum Heimatbesuch nach München reisen (hier am Flughafen).

Claus-Peter Reisch, auf Malta angeklagter „Lifeline“-Kapitän, durfte gegen Kaution zum Heimatbesuch nach München reisen (hier am Flughafen).

Foto: dpa/Matthias Balk

Während sie ihre Tage tatenlos an Deck verbringt, durchlebt „Lifeline“-Kapitän Claus-Peter Reisch schwere Tage. Er steht auf Malta vor Gericht. Der Vorwurf: Das Schiff soll nicht ordnungsgemäß registriert sein. Für Reisch sind dies vorgeschobene Argumente, das Schiff laufe regulär unter holländischer Flagge. „Ich habe nichts verkehrt gemacht“, sagte er jetzt bei einer Heimatvisite gegen Kaution in München (wo der Bayer Ende Juli den Europa-Preis der bayerischen SPD-Landtagsfraktion erhalten wird, wie die Partei gestern erklärte). Reisch sieht sich, bezogen auf den Prozess, als Bauernopfer für alle anderen NGOs. Als Bauernopfer im Zuge des erbitterten Ringens der EU um die Flüchtlingsfrage. In den vergangenen Wochen hatte die neue italienische Regierung mehrfach Schiffe mit geretteten Migranten auf dem Meer blockiert. Hilfsorganisationen wurde die Einfahrt in italienische Häfen verwehrt. Es ist ein neuer Ton in einer Krise, die schon seit Jahren währt.

Nur schwer ertragen die Freiwilligen, dass die „Lifeline“ festliegt. Nach dem letzten Einsatz haben sie das Schiff geschrubbt, Decken und Schwimmwesten gewaschen, desinfiziert. Neeske arbeitet im Büro unter Deck. Gemeinsam mit den anderen hat sie einen Katalog erarbeitet, wie geholfen werden kann: Geldspenden, Freiwillige, Leute, die zu Hause Protest organisieren. Oder helfen, dass der Film über das vor einem Jahr festgesetzte Rettungsschiff „Iuventa“ in die Kinos kommt. Auch der Kontakt zu den Kirchen sei wichtig. Von dort komme viel Zuspruch.

Richard Brenner streicht an Deck Metallteile an. Der Leipziger ist seit acht Wochen als Maschinist an Bord. Er war dabei, als das Schiff mit den 234 Geflüchteten in Malta einlief. Zuvor hatte die Crew 126 Menschen mit der US-Marine gerettet und noch einmal 106 Schiffbrüchige mit dem Rettungsboot zu einem Versorgungsschiff gefahren. „Wir waren sieben Tage mit Geflüchteten aus acht Nationen an Bord. Wir mussten ihnen sagen, warum wir nicht in einen Hafen einlaufen. Obwohl wir es selber nicht verstanden haben“, sagt er.

Während der Zwangspause hat die Besatzung der „Lifeline“ Kontakt zu den anderen deutschen NGO-Schiffen, der „Seefuchs“ und der „Sea-Watch“, die ebenfalls in Malta festsitzen. Viel Zuspruch komme von den Bewohnern Maltas, sagt Neeske Beckmann, die wohlwollend registriert, dass Menschen europaweit protestieren gegen die Behinderung der Seenotretter. „Es hilft weiterzumachen. Es ist sehr frustrierend, hier festzusitzen. Wir könnten auslaufen, haben ein einsatzbereites Schiff, das super in Schuss ist, eine vollständige Crew und moderne Rettungsmittel. Ein paar Seemeilen weiter ertrinken Menschen. Man lässt sie absichtlich ertrinken, indem man uns mit Vorwänden festhält“, sagt sie. „Wir sehen das als politischen Prozess, hinter dem die Abschottungspolitik Europas steht.“

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