Zerreißprobe für die deutschen Katholiken

Genau vor zehn Jahren passierte das, was Kardinal Karl Lehmann nach dem Tod von Papst Johannes Paul II. diplomatisch als "Unstimmigkeit" titulierte

Genau vor zehn Jahren passierte das, was Kardinal Karl Lehmann nach dem Tod von Papst Johannes Paul II. diplomatisch als "Unstimmigkeit" titulierte. In Wirklichkeit war es ein handfester Streit, ja eine Zerreißprobe für die Bischofskonferenz und letztlich die deutschen Katholiken: Der Vatikan untersagte es den katholischen Beratungsstellen für Schwangere, den berühmten "Schein" auszustellen, der eine straffreie Abtreibung ermöglicht. 1995 war nach langer Debatte das Abtreibungsrecht geändert worden. Seitdem müssen sich Frauen, die straffrei ihre Schwangerschaft abbrechen wollen, in den ersten drei Schwangerschaftsmonaten in einer anerkannten Stelle beraten lassen und dies über einen Schein nachweisen. Für die katholische Kirche, die Abtreibungen ablehnt, bedeutete dies einen schwierigen Balanceakt. Dennoch stellten die katholischen Beratungsstellen die Scheine aus. Der Papst reagierte. Im Januar 1998 schrieb er an die deutschen Bischöfe, sie sollten ihre Hilfe für schwangere Frauen fortführen. Die Bescheinigungen jedoch sollten nicht mehr ausgestellt werden. In der Öffentlichkeit schlugen die Wogen der Empörung hoch. Politiker quer durch die Parteien waren entsetzt. Sie forderten die deutschen Bischöfe zur Revolte auf.

Am 23. Juni 1999 ging Kardinal Lehmann in Bonn an die Öffentlichkeit - sichtlich angegriffen von der Debatte. Der Papst verlange von der Kirche ein Höchstmaß an Entschiedenheit in ihrem Eintreten für das Lebensrecht ungeborener Kinder. Es könne keine "grundsätzlich illoyale Konfliktstrategie geben". Daher würden die katholischen Beratungsstellen den Schein nur noch mit einem Zusatz ausstellen: "Diese Bescheinigung kann nicht zur Durchführung straffreier Abtreibungen verwendet werden." Lehmann machte aus seiner Enttäuschung über den Papst keinen Hehl, doch er beugte sich.

Doch auch die Zusatzformel wischte der Vatikan schließlich vom Tisch. Ein Bistum nach dem anderen stieg daraufhin aus der Beratung mit Schein aus. Am längsten wehrte sich der Limburger Bischof Franz Kamphaus. Erst im März 2002 schob ihm der Papst endgültig einen Riegel vor. Kamphaus sprach von einer "tiefen Wunde".

Die Katholiken in Deutschland suchten sich einen anderen Ausweg. Im September 1999 gründeten engagierte Laien den Verein "Donum Vitae" (Geschenk des Lebens). "Donum Vitae" will Frauen ermutigen, ihr Kind zu behalten, stellt aber den Schein aus, wenn die Frau das wünscht. Inzwischen unterhält der Verein an 190 Orten Beratungsstellen. 2008 beriet "Donum Vitae" rund 43 500 Frauen. Finanziert wird der Verein zu 80 Prozent von den Bundesländern. Kirchensteuermittel werdennicht gezahlt.

Die Vorsitzende des Vereins und ehemalige Saar-Ministerin aus Lebach, Rita Waschbüsch (Foto: bub), hält den Ausstieg der Kirche nach wie vor für einen Fehler. Allerdings habe die erfolgreiche Arbeit das Selbstbewusstsein der katholischen Laien gestärkt. "Wir haben viele bewegt, sich bei uns zu engagieren, die sich sonst von der Kirche abgewandt hätten."

Bundesbildungsministerin Annette Schavan, die zu den Gründerinnen von "Donum Vitae" zählt, sieht die Gründung als einen wichtigen Schritt, Frauen in Not beizustehen, und ein Beispiel für den Einsatz von Katholiken zum Schutz des Lebens. So sieht es die Amtskirche nach wie vor nicht. Die Bischöfe machten klar, dass kirchliche Mitarbeiter in dem Verein keine Leitungsposten übernehmen dürften und "Donum Vitae" eine Vereinigung außerhalb der Kirche sei.

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