Terror-Miliz Wohin mit den IS-Kämpfern aus Europa?

Brüssel · In der EU gibt es keine klare Linie, wie mit den eigenen Staatsangehörigen, die bei der Terror-Miliz waren, verfahren werden soll.

Dieses Propaganda-Foto zeigt Anhänger der Terror-Miliz IS, bevor sie zwei Geiseln enthaupten. Viele der Dschihadisten stammen aus Europa.

Dieses Propaganda-Foto zeigt Anhänger der Terror-Miliz IS, bevor sie zwei Geiseln enthaupten. Viele der Dschihadisten stammen aus Europa.

Foto: picture alliance / ZUMAPRESS.com/dpa Picture-Alliance /ZUMA Press

(dr/dpa) Kopfschütteln, blankes Unverständnis, Widerspruch – die Forderung des amerikanischen Präsidenten an die EU-Staaten, „ihre“ IS-Kämpfer zurückzuholen, hat die Union gestern ziemlich durcheinander gebracht. „So einfach, wie man sich das in Amerika vorstellt, ist es sicherlich nicht“, meinte Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD) vor einem Treffen mit seinen Amtskollegen in Brüssel.

Der luxemburgische Außenamtschef Jean Asselborn kritisierte den Stil von US-Präsident Donald Trump: „Twitter hin und her zu schicken, das hat keinen Sinn.“ Die österreichische Außenministerin Karin Kneissl meinte, es könne „nicht im Interesse von irgendjemandem sein, die zuvor unter großem Risiko gefangenen IS-Kämpfer freizulassen.“

Die Mitgliedstaaten gehen ihre eigenen Wege. Ungarn sieht, so Außenamtschef Peter Szijjarto, das wichtigste Ziel darin, „die Kämpfer aus Europa fernzuhalten“. In Schweden scheint der Staat laut Außenministerin Margot Wallström entschlossen, die Kämpferinnen festzunehmen. Offen sei aber, wie und wo dann deren Kinder untergebracht werden müssten. Großbritannien hat nach Informationen des Terrorbeauftragten der EU, Gilles de Kerchove, das Problem auf zum Teil recht einfache Weise gelöst: Rund 150 ausgewanderten Briten, die für den sogenannten Islamischen Staat (IS) gekämpft hatten, wurde die Staatsangehörigkeit aberkannt. Frankreichs Außenminister Jean-Yves Le Drian beziffert die Zahl der inhaftierten Franzosen auf 100, davon seien 60 minderjährig. Er würde den Häftlingen am liebsten vor Ort den Prozess machen.

Doch das dürfte schwierig werden. Die syrischen Kurden, in deren Hand sich die gefangen genommenen IS-Mitglieder befinden, haben keine international anerkannte Justiz. Europäische Rechtsstandards sind nicht gegeben. Menschenrechtsexperten berichten von Folter und Hinrichtungen. Das Gleiche gilt auch für jene ehemaligen Kämpfer des IS, die im Irak in Lagern festgehalten werden. De Kerchove geht von rund 20 000 Gefangenen aus, die alle dem IS angehörten. Mehrere hundert europäische Staatsbürger gehörten dazu, etwa 1500 seien bereits in ihre Heimatländer zurückgekehrt.

Zwar betonten gestern nahezu alle Minister, dass die gefangenen Europäer ein „Recht auf Rückkehr“ haben. „Diese Leute dürfen aber nur kommen, wenn sichergestellt ist, dass sie auch unmittelbar in Gewahrsam genommen werden können“, unterstrich Maas. Das wird nicht einfach, weil gerichtsverwertbare Beweise vor Ort praktisch nicht zu bekommen sind. Und außerdem fürchten alle Regierungen, dass sich unter den mutmaßlichen Heimkehrern viele sogenannte „Foreign Fighters“ befinden könnten, also „schlafende“ Einzeltäter, die jederzeit für Anschläge wieder rekrutiert werden können.

Wahrscheinlich handelt es sich nur noch um Tage, bis der IS auch in Syrien seine letzte Bastion verloren hat und das selbst ernannte Kalifat endgültig zerstört ist. In dem kleinen Ort Baghus weit im Osten des Bürgerkriegslandes sollen sich noch auf wenigen Quadratmetern einige Hundert Dschihadisten verschanzen, darunter viele Ausländer und womöglich auch noch weitere Deutsche.

Und so steht auch die Bundesregierung vor einem Dilemma: Etwa 1050 Frauen und Männer sind nach Angaben des Bundesinnenministeriums seit dem Jahr 2013 aus Deutschland in das Kampfgebiet Syrien/Irak ausgereist, um sich dort an der Seite von terroristischen Gruppen am Dschihad zu beteiligen.

Ein Drittel sei nach Deutschland zurückgekehrt, die Zahl der Getöteten werde auf 200 geschätzt, heißt es. In kurdischem Gewahrsam befindet sich nach diesen Angaben eine „größere zweistellige Zahl“. „Nur gegen sehr wenige dieser Personen liegen Haftbefehle vor. Gegen eine weitere, ähnlich kleine Gruppe, bestehe derzeit Ermittlungsverfahren“, sagt ein Sprecher des Bundesinnenministeriums.

Die Grünen-Politikerin Irene Mihalic wirft der Bundesregierung vor, sich vor ihrer Verantwortung zu drücken. „Wir müssen endlich aufhören so zu tun, als sei die Radikalisierung dieser Kämpferinnen und Kämpfer nicht bei uns in Deutschland erfolgt. Diese Menschen sind Teil unserer Gesellschaft und wir haben eine Verantwortung für das, was sie hier oder anderswo anrichten.“

In Brüssel sitzen die Fachkommissare seit Jahren daran, mögliche Sicherheitslücken zu schließen – von der Terrorfinanzierung bis hin zur strikteren Kontrolle aller ein- und ausreisenden Bürger aus Drittstaaten. Es handelt sich vorrangig um Programme zur Abwehr solcher potenziell immer noch gefährlichen Einzeltäter. Programme zur Resozialisierung jener, die einfach nur der Propaganda aufgesessen sind und sich selbst nicht schuldig gemacht haben, stehen weiter aus.

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