Streit zwischen Berlin und Ankara Wie stimmen die Deutsch-Türken bei der Wahl ab?

Köln · Mitten im Streit zwischen Berlin und Ankara geraten unfreiwillig die türkischstämmigen Wähler in den Blickpunkt. Rund zwei Wochen vor der Bundestagswahl fragen sich viele in Deutschland: Fällt der Aufruf des türkisch­en Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, nicht für die „Türkeifeinde“ CDU, SPD oder Grüne zu stimmen, auf fruchtbaren Boden? Bis zu 900 000 Wahlberechtigte mit türkischem Hintergrund gibt es nach unterschiedlichen Angaben.

Die Leute werden sich nicht massenhaft von Erdogans Aufruf beeinflussen lassen, wie Yunus Ulusoy vom Zentrum für Türkeistudien und Integrationsforschung (ZfTI) glaubt. „Es wird wohl einige geben, die sich bei ihrer Wahlentscheidung davon leiten lassen, aber keine Scharen.“ Die Stiftung in Essen geht von etwa 700 000 Wahlberechtigten Deutsch-Türken aus, von denen die meisten – etwa 189 000 – in Nordrhein-Westfalen leben, viele auch in Berlin und einigen Zentren in Baden-Württemberg, Hessen, Hamburg. Wie viele es im Saarland sind, wird nach Angaben des Saar-Innenministeriums derzeit nicht erfasst.

Ulusoy erläutert: „Man kann das auch als einen Wahlaufruf von Erdogan verstehen, kleine Parteien mit türkischen Wurzeln zu wählen.“ Natürlich Erdogan-Unterstützer. Also die Allianz Deutscher Demokraten (ADD), die der türkisch­en Regierungspartei AKP nahesteht – und nur in NRW antritt. Oder die BIG-Partei, die aber die Bundestagswahl boykottiert.

Zwar seien Türkischstämmige in Deutschland mehrheitlich eher konservativ, hätten aber dennoch in der Vergangenheit überwiegend links gewählt, vor allem die SPD, schildert der Essener ZfTI-Experte. Viele waren als Arbeiter gewerkschaftlich organisiert und über Jahre hinweg an die Sozialdemokraten gebunden. Heute sind zahlreiche Menschen vor allem aus zweiter und dritter Migrantengenera­tion als Mitglieder unterschiedlicher Parteien engagiert und mischen politisch mit.

Kazim Kaya, Chef der türkischen Oppositionspartei CHP in Baden-Württemberg, glaubt, dass sich einige von Erdogans Aufruf beeinflussen lassen, denn: „Er hat hier durchaus Anhänger.“

Erdogans Aufforderung komme einem indirekten Boykottaufruf der Bundestagswahl gleich, kritisiert die Migrantenorganisation Föderation Deutscher Arbeitervereine (DIDF). Erdogan versuche, die deutsch-türkischen Wähler zu seinen „Marionetten“ zu machen, betont der Kölner Dachverband von mehr als 35 Vereinen aus der Türkei. Umso mehr sollten alle zur Wahl gehen. Auch der Zentralrat der Muslime ruft zur Abstimmung auf.

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