Wie Leiharbeiter im Saarland abgezockt werden

Saarbrücken · Mehrere ungarische Leiharbeiter sollen seit Monaten keinen Lohn bekommen haben. Gewerkschafter vermuten zudem einen Sozialbetrug im großen Stil. Nun hat sich der Saarbrücker Zoll eingeschaltet.

 Gewerkschafter Markus Andler (mit Telefon) versucht, den ungarischen Arbeitern zu helfen. Fotos: Zimmermann (3)

Gewerkschafter Markus Andler (mit Telefon) versucht, den ungarischen Arbeitern zu helfen. Fotos: Zimmermann (3)

 Auf dieser Baustelle in der Saarbrücker Innenstadt waren die Ungarn beschäftigt.

Auf dieser Baustelle in der Saarbrücker Innenstadt waren die Ungarn beschäftigt.

 In einem ehemaligen Bordell wurde eine Sammelunterkunft für die ungarischen Leiharbeiter eingerichtet.

In einem ehemaligen Bordell wurde eine Sammelunterkunft für die ungarischen Leiharbeiter eingerichtet.

Knapp ein Dutzend ungarischer Arbeiter steht auf dem Parkplatz eines Supermarktes nahe ihrer schlichten Saarbrücker Sammelunterkunft, einem ehemaligen Bordell. Ihr Gesichtsausdruck schwankt zwischen Wut und Verzweiflung. Denn seit Wochen haben sie keinen Lohn erhalten, berichten sie. Ihr Erspartes - längst aufgezehrt. Kein Geld mehr, um sich etwas zu essen zu kaufen.

In ihrer Mitte Markus Andler, Saar-Chef der Industrie-Gewerkschaft Bau, Agrar und Umwelt (IG BAU). Er zückt seine Geldbörse, greift nach ein paar Geldscheinen und drückt sie einem der Männer in die Hand. "Damit ihr wenigstens was für heute Abend habt", sagt er dem Jüngsten in der Runde, dem Einzigen, der auch Deutsch kann.

Kurz darauf spricht Andler mit energischem Ton in sein Mobiltelefon. Er ist mächtig aufgebracht, fordert, dass die ganze Sache geklärt wird. Und zwar schnellstens! Am anderen Ende: der Zoll, den Andler eingeschaltet hat. Denn er befürchtet, dass es um mehr als nur ausstehende Gehälter geht - womöglich Sozialbetrug im großen Stil. Denn: Ein zuckerkranker Arbeiter schildert, er sei nicht krankenversichert. So fehlten ihm dringend benötigte Medikamente. Die aus der Heimat mitgebrachte Arznei reiche lediglich noch für maximal zwei Tage. "Das stinkt mächtig. Hier scheinen einige nicht sozialpflichtig gemeldet zu sein", vermutet Andler. Die um ihn herum versammelten Männer sind fest entschlossen, für ihr Recht zu kämpfen. Denn zu verlieren haben sie im Saarland nichts mehr, sagen sie. Dabei hofften die angeheuerten Ungarn, dass es ihnen hier besser geht als in ihrer Heimat. Darum bewarben sie sich um Jobs auf deutschen Baustellen und in der hiesigen Fleischwarenindustrie. Als Leiharbeiter stellte sie der Dienstleister Saar-Immo mit Sitz in Saarbrücken an.

Was jetzt folgt, ruft böse Erinnerungen an den Fall Bostalsee wach. Dort mussten 2013 rumänische Werkarbeiter wochenlang auf ihr Gehalt warten. Sie waren beim Bau des Ferienparks eingesetzt und übers Ohr gehauen worden. Jetzt scheint sich genau solch ein Fall zu wiederholen. Wie SZ-Recherchen ergaben, stehen Gehälter seit August aus. Demnach sind Beschäftigte auf einer Saarbrücker Großbaustelle des Zweibrücker Generalunternehmers Wolf und Sofsky sowie der Saarbrücker Großmetzgerei Schröder betroffen. Beide Firmen bezogen Arbeitskräfte von Saar-Immo. Und genau dieser Dienstleister ist jetzt pleite.

Rechtsanwalt Marc Herbert übernahm als Insolvenzverwalter die Führung des Betriebs. Grund für die "großen Liquiditätsprobleme" seien "offene Forderungen über 700 000 Euro", denen Verbindlichkeiten von 500 000 Euro gegenüberstehen sollen, lässt er wissen. 78 Mitarbeiter seien betroffen. Herbert sichert die weiteren Lohnzahlungen zu. Er habe Insolvenzausfallgeld für die Beschäftigten beantragt. Zudem würden vorerst ohne rechtliche Prüfung der Arbeitsverhältnisse allen 50 Euro ausbezahlt, um die gröbste Not zu lindern, versichert Herbert.

IG-BAU-Chef Andler widerspricht: "Nur ein Teil der Belegschaft hat Abschlagszahlungen erhalten." Jene Betroffenen, die wegen der ausbleibenden Löhne schon vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens beim Arbeitsgericht Anzeige erstattet hatten und seitdem nicht mehr zur Arbeit erschienen waren, seien leer ausgegangen.

Noch schwerer wiege der Vorwurf, die Mitarbeiter würden von der bisherigen Geschäftsführung massiv unter Druck gesetzt, sagt Andler. So habe man ihnen gedroht, sie aus der von Saar-Immo bereitgestellten Sammelunterkunft nahe des Saarbrücker Messegeländes zu werfen. Andler: "Ein ungarischer Mitarbeiter berichtet davon, geschlagen worden zu sein." Des Weiteren sei ein Leiharbeiter von Saar-Immo auf die Straße gesetzt worden, der bei Schröder eingesetzt worden war und ebenfalls kein Geld mehr erhalten haben soll. Dagmar Schoke, Betriebsratsvorsitzende beim Fleischfabrikanten, bestätigt: "Unser Unternehmen hat ihn umgehend in einem Hotel untergebracht und ihm Geld gegeben. Die Angst bei ihm ist groß. Er wird unter Druck gesetzt." Unterdessen wird die SZ Zeuge, wie Vertreter der Saar-Immo-Geschäftsführung in einer dunklen Geländelimousine bei der Unterkunft vorfahren. Gewerkschafter Andler weist unmissverständlich darauf hin, dass allein der Insolvenzverwalter hier vorerst das Sagen hat. Einer der aussteigenden Repräsentanten, ein bulliger Mittdreißiger, faucht Andler an: "Halt's Maul! Wir regeln das hier anders." Kurz darauf erteilt eine Frau, ebenfalls aus der Nobelkarosse entstiegen, dem Gewerkschaftschef Hausverbot - und überschreitet damit im laufenden Insolvenzverfahren ihre Kompetenzen, wie Anwalt Herbert wenig später bestätigt. Was die Saar-Immo-Chefs aber offensichtlich nicht weiter stört: Sie gehen weiterhin ein und aus. Drohen angeblich Mitarbeitern, sie vor die Tür zu setzen.

Schröder-Geschäftsführer Willi Walter berichtet indes über eine Auszahlung seitens seines Unternehmens von 500 Euro an den von Saar-Immo gefeuerten Arbeiter . Direkt nach Bekanntwerden der Unregelmäßigkeiten habe er zudem den bisherigen Saar-Immo-Chef samt Anwalt Herbert einbestellt. Walter sagt: "Ich habe verlangt sicherzustellen, dass alle bei Schröder eingesetzten Leiharbeiter entlohnt werden." Zurzeit sollen noch sechs Kollegen der zahlungsunfähigen Firma bei Schröder arbeiten.

Scharfe Kritik kommt von Mark Baumeister. Der Saar-Geschäftsführer der Gewerkschaft Nahrung, Genuss, Gaststätten (NGG) verlangt ein Verbot von Leiharbeitsverträgen. "Sie führen immer wieder zu schwerwiegenden Problemen." Zumal die Arbeitsverträge nur auf Deutsch verfasst seien, die überwiegende Mehrzahl der ausländischen Beschäftigten sie somit nicht verstehe. Noch sind alle betroffenen Ungarn vor Ort, haben bereits viele von ihnen beim Zoll ausgesagt. Allerdings befürchten sowohl IG BAU als auch NGG, dass sie schnellstens in ihre Heimat verschwinden sollen, damit Vorwürfe unter den Tisch gekehrt werden.

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