Wie Innenminister und Gutachter die Saarländer auf harte Einschnitte zur Sanierung der Kommunen einstimmen

Saarbrücken · Das mit Spannung erwartete Gutachten zu den Finanzen der saarländischen Städte und Gemeinden liegt jetzt vor. Sollte es umgesetzt werden, würden auf die Bürger massive Belastungen zukommen. Die Gewerkschaft Verdi läuft Sturm gegen einen drohenden Personalabbau.

Sollten die Finanzen der saarländischen Kommunen eines fernen Tages wieder ins Lot kommen, dann war der 9. März 2015 der Tag, an dem alles begann - so sieht es jedenfalls Innenminister Klaus Bouillon (CDU). Bereits bevor der Kaiserslauterer Professor Martin Junkernheinrich gestern in der Staatskanzlei die wichtigsten Ergebnisse seines 400 Seiten starken Gutachtens präsentierte, erklärte Bouillon den Tag zur "Zäsur". Seit 30 Jahren werde diskutiert, nun gebe es erstmals eine klare Perspektive für die Städte und Gemeinden, sagte er. Alle wüssten, dass "sofort" gehandelt werden müsse, es sei "höchste Eisenbahn".

Mit schnellen Erfolgen ist indes nicht zu rechnen. Junkernheinrich verglich den Sanierungskurs mit einem "Gang durchs Tal der Tränen". Selbst wenn Land und Kommunen alle seine Vorschläge umsetzen, hätten die Kommunen erst in zehn Jahren ihr strukturelles Defizit von 160 Millionen Euro auf null zurückgefahren. "Der Abbremsprozess braucht Zeit", sagte Junkernheinrich. "Sie können einen Haushalt nicht in einem Jahr sanieren." Wenn man allerdings nichts tue, explodierten die Schulden. Die Kassenkredite, die als eine Art Dispo eigentlich zur Überwindung kurzzeitiger Engpässe dienen sollen, werden von den Saar-Kommunen längst zur Finanzierung laufender Ausgaben, für Personal und Sozialleistungen genutzt. Das sei "finanzpolitisch besonders problematisch", sagte Junkernheinrich.

Junkernheinrich führt die Misere auf ein Ursachenbündel zurück, er macht Bund, Land und Kommunen gleichermaßen verantwortlich. Der Bund müsse die Kommunen bei den Sozialkosten weiter entlasten. Der Landesregierung empfiehlt er, ein Sanierungsprogramm von 17 Millionen Euro im Jahr aufzulegen und die Kommunen ab 2020 dauerhaft um bis zu 35 Millionen zu entlasten. Worauf Bouillon antwortete, das Land werde sich "im Rahmen des finanziell Möglichen" bewegen. Für zwingend erforderlich hält der Gutachter auch eine starke und politisch unabhängige Kommunalaufsicht, die - wenn es sein muss - auch einmal einen Haushalt nicht genehmigt oder einen Sparkommissar in eine Gemeinde schickt. Junkernheinrich kritisierte, die Landesregierung habe die Kommunalaufsicht in den letzten Jahren "nach und nach ausgeschaltet".

Den Kommunalpolitikern bescheinigte der Professor, sie hätten sich über die Jahre an Haushaltsdefizite und Kassenkredite "gewöhnt". Zwar liege das Ausgabenniveau der Saar-Kommunen nur geringfügig über dem Schnitt der Flächenländer. Dafür allerdings würden die Einnahmemöglichkeiten nicht ausgeschöpft. So gebe es im Saarland die niedrigsten Hebesätze der Grundsteuer B auf Grundstückseigentum, auch das Aufkommen aus Beiträgen und Gebühren sei bundesweit das mit Abstand niedrigste. Als Zeichen "zu geringer Haushaltsdisziplin" sieht Junkernheinrich auch die Personalausgaben der Saar-Kommunen, für die er ein Sparpotenzial von rund zehn Prozent errechnete. Allein dies soll bis zu 62 Millionen Euro pro Jahr sparen. Zwar liegen die Saar-Kommunen mit ihren rund 13 800 Stellen bei den Personalkosten je Einwohner unter dem Schnitt der Flächenländer. Allerdings, erklärte Junkernheinrich, seien Städte, Gemeinden und Kreise im Saarland für deutlich weniger Aufgaben zuständig als in anderen Ländern. Bouillon sagte, ein Abbau von zehn Prozent auf zehn Jahre gerechnet sei möglich. Es genüge, wenn jede zweite freiwerdende Stelle nicht mehr besetzt werde. Auffallend hoch sind im Saarland auch die Fallkosten bei einigen Sozialleistungen. Während die Hilfe zur Pflege in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen im Schnitt 7602 Euro je Fall koste, seien es im Saarland je nach Landkreis 11 760 bis 15 097 Euro, sagte Junkernheinrich.

Ähnlich krass sind die Unterschiede bei der Hilfe zum Lebensunterhalt. Hier sieht Junkernheinrich weiteren Untersuchungsbedarf. Bei den Schwimmbädern sei der hohe Versorgungsgrad "nicht zu halten", prophezeite Junkernheinrich. Das Saarland sei in Relation zur Einwohnerzahl deutlich besser ausgestattet als das Ruhrgebiet oder Berlin. "Ich weiß, wie schwer es ist, Bäder zu schließen", sagte Junkernheinrich, aber man könne die jährlichen Defizite von 500 000 bis 800 000 Euro pro Bad auch nicht dauerhaft über Schulden finanzieren. Kommunal- und Landespolitik müssten die anstehenden Einschnitte vermitteln. Falls man den schwierigen Weg der kommunalen Haushaltskonsolidierung nicht gehe, so Junkernheinrich, dann würde dies zu einer "kaum noch zu finanzierenden Belastung" der nachfolgende Generationen führen.

Verdi und Personalräte wütend über Forderung nach Stellenabbau

Mit der Forderung nach Personalabbau enthält das Junkernheinrich-Gutachten aus Sicht der Personalräte der saarländischen Städte , Gemeinden und Kreise "nichts wirklich Neues". Noch liege ihr das Gutachten aber nicht vor, betonte gestern die Gewerkschaft Verdi. Die auch von Innenminister Klaus Bouillon (CDU ) erhobene Forderung nach Stellenabbau löst aus ihrer Sicht die Probleme nicht.

Das strukturelle Defizit der Städte und Gemeinden betrage jährlich rund 160 Millionen Euro, eben dieser Betrag fehle der kommunalen Seite durch Steuererleichterungen in der Vergangenheit für Vermögende und Unternehmen. "Die Beschäftigten sind nicht schuld an der Situation, aber sie sollen den Hauptteil der Zeche zahlen", sagte Verdi-Landesbezirksleiter Michael Blug. Dies mache wütend. Als positiv am Gutachten bemerkte der Personalratsvorsitzende von Saarbrücken , Bernd Schumann, dass es festhalte, dass die Kommunen und Kreise sich nicht aus eigener Kraft konsolidieren können, sondern es gemeinsamer Anstrengungen mit Bund und Land bedürfe. In einer Resolution an Regierungschefin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU ) forderten sie Initiativen des Landes zur Einnahmenverbesserung, darunter eine Vermögensteuer, einen höheren Spitzensteuersatz sowie eine höhere Erbschaftssteuer.

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