Saarbrücker Gießerei Wie ein Streit um Preise Saar-Jobs gefährdet

Saarbrücken · Der Neue-Halberg-Guss-Eigner Prevent macht Lieferungen an VW offenbar um das Zehnfache teurer.

 Die Belegschaft fürchtet wegen des Preiskampfs um alle rund 1500 Arbeitsplätze.

Die Belegschaft fürchtet wegen des Preiskampfs um alle rund 1500 Arbeitsplätze.

Foto: BeckerBredel

Gestern kostete ein Espresso in der Kaffeebar zwei Euro, heute verlangt der Kellner 20 Euro. Ein Versehen, ein Scherz, wird der Gast denken. Das kann gar nicht wahr sein. Nun, in der Kaffeebar vielleicht nicht, aber in der Autozulieferbranche schon. Bei der Neuen Halberg Guss (NHG) ist offenbar genau das passiert. Die Eigentümer der Saarbrücker Gießerei, die Prevent-Gruppe der bosnischen Investorenfamilie Hastor, überzieht Volkswagen anscheinend mit horrenden Preisforderungen, wie aus Unterlagen des Schriftverkehrs zwischen den Streithähnen hervorgeht, die der SZ vorliegen. Bis zu zehn Mal so viel wie ursprünglich ausgehandelt sollen demnach die Motorblöcke aus Saarbrücken beziehungsweise aus dem Schwesterwerk in Leipzig kosten. „Völlig unverständlich ist uns, warum Sie Aufschläge von bis zu Faktor 10 auf die vereinbarten Preise verlangt haben“, heißt es in einem Brief von Volkswagen an die Gießerei-Geschäftsführung in Saarbrücken.

Gewerkschaft und Betriebsrat hatten vergangene Woche lediglich vom Vier- bis Fünffachen gesprochen, als sie den Mitarbeitern über den eskalierenden Streit zwischen Prevent und VW berichteten. Zuvor hatte die Geschäftsführung die Auslieferungen zeitweise unterbrochen. Die Begründung dafür: „Volkswagen hat Rechnungen im Millionenbereich nicht pünktlich bezahlt“, hatte ein Sprecher mitgeteilt und versichert, dass Prevent „stets marktgerechte Preise kalkuliert“. Mit der Frage nach astronomischen Erhöhungen konfrontiert, hieß es: „Über die mit unseren Kunden vereinbarten Preise äußern wir uns nicht.“

Für Volkswagen ist der Fall Neue Halberg Guss ein weiterer in einer längeren Reihe, wie aus einer Stellungnahme auf Anfrage unserer Zeitung hervorgeht: „Seit dem Jahr 2015 hat sich die Prevent-Gruppe wiederholt unzuverlässig gegenüber dem Volkswagen-Konzern verhalten und sowohl in Deutschland als auch in Brasilien Volkswagen durch Lieferstopps in eine Zwangslage versetzt, um so unplausible Forderungen durchzusetzen.“ In Brasilien verursachte der Lieferstopp demnach einen Stillstand der Fließbänder von 160 Tagen sowie einen Schaden in dreistelliger Millionenhöhe. Dieses Muster habe sich im Sommer 2016 in Deutschland wiederholt. Damals verhängten Prevent-Töchter – der Sitzhersteller Car Trim und der Getriebeteil-Produzent ES Guss – Lieferstopps. Zeitweise standen in VW-Werken Bänder still. Nun könnte sich das Szenario bei der Neuen Halberg Guss wiederholen. Mit dramatischen Folgen für die Belegschaft, wie Betriebsrat und Gewerkschaft IG Metall befürchten. Car Trim und ES Guss haben VW als Kunden verloren, das droht nach Auffassung der Arbeitnehmervertreter auch in Saarbrücken. Mit dem Wegfall des Hauptkunden wären die mehr als 1500 Arbeitsplätze im Brebacher Traditionswerk bedroht.

Aus Sicht von Volkswagen hat das Vertrauensverhältnis zur Prevent-Gruppe durch die Auseinandersetzungen seit 2015 „massiv und nachhaltig gelitten“. Die Konsequenz: Neben Vereinbarungen mit ES Guss und Car Trim hat VW auch „Verträge mit weiteren Firmen aus der Prevent-Gruppe gekündigt“. Ungekündigte Verträge gibt es demnach anscheinend nur noch mit der Neuen Halberg Guss.

Obwohl – selbst darüber, ob Verträge existieren, sind sich die Streitparteien uneins, wie aus den VW-Unterlagen hervorgeht. VW zeigt sich demnach verwundert, dass Prevent-Manager „von einer Beendigung der Geschäftsbeziehung der NHG mit den Unternehmen der Volkswagen Gruppe zum 30. Juni 2018 ausgehen“. Die hohen Aufschläge erklären sich daher dadurch, dass „Auslaufpreise“ verlangt werden, also erhöhte Preise, weil die Lieferung in Kürze endet. Der Autokonzern versichert dagegen nun mehrfach: „Es bestehen rechtsgültige, unbefristete und ungekündigte Lieferverträge.“ Schließlich habe die NHG Guss jahrelang auf Grundlage dieser Vereinbarungen geliefert. Und VW möchte, so ist wohl zu folgern, weiter Motorblöcke aus Saarbrücken bekommen. So soll es nach SZ-Informationen auch Zwei-Jahres-Pläne für die Lieferungen geben.

Was es auch immer damit auf sich hat, unklar bleibt, welche langfristige Perspektiven über 2020 hinaus für NHG bestehen. Geschäftsführer Alexander Gerstung ist offenkundig der Ansicht, dass das Unternehmen „generell ausgesteuert werden soll“ aus der VW-Lieferantenliste. „Seitens der Volkswagen-Gruppe gibt es keine Zukunftsaufträge“, schreibt er in einer Antwort auf Fragen der IG Metall und des Betriebsrats. Angesichts rückläufiger Nachfrage nach Diesel-Autos kalkuliere VW mit deutlich geringerem Bedarf. Und den habe der Konzern bei NHG-Konkurrenten gedeckt. Außerdem verweist Gerstung auf VW-Pläne, eine eigene Gießerei für Lkw-Motoren­teile zu bauen. Der Kuchen, den VW an Zulieferer verteilen kann, wird dadurch kleiner. Die Gießerei der VW-Tochter Scania in Schweden soll nach Auskunft von Volkswagen 2020 in Betrieb gehen. Was das für die Zulieferer bedeuten könnte, will Volkswagen nicht sagen.

Doch dass man in Saarbrücken die Hoffnung auf VW-Aufträge begraben müsste, ist zu pessimistisch. Nach dem unserer Zeitung vorliegenden Schreiben bietet Volkswagen dem Prevent-Management ein Treffen an. „In dem Gespräch würden wir auch gerne Ihre Strategie für eine nachhaltige Zukunft der NHG kennen- und verstehen lernen.“ Das klingt nicht danach, als ob Volkswagen die Saarbrücker Gießerei als Lieferanten loswerden will. Nur die bis zu zehnfache Preiserhöhung will der Konzern nicht bezahlen – genauso wie ein Bar-Gast keine 20 Euro für einen Espresso ausgeben würde.

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