Wie aus dem Saarland eine große Nummer werden soll

Plötzlich geht ein Raunen durch den voll besetzten Saal. „Oh oh!“ ist vielfach zu hören.

 Diese vier Motive sind ab sofort in der Eingangshalle des Eurobahnhofs in Saarbrücken zu sehen. Sie zeigen das Festival Rocco del Schlacko, die Saarschleife, den St. Johanner Markt in Saarbrücken und die Ausstellung „Urban Art“ im Weltkulturerbe Völklinger Hütte. Viele weitere werden landesweit und auch bundesweit folgen. Fotos: Oliver Dietze

Diese vier Motive sind ab sofort in der Eingangshalle des Eurobahnhofs in Saarbrücken zu sehen. Sie zeigen das Festival Rocco del Schlacko, die Saarschleife, den St. Johanner Markt in Saarbrücken und die Ausstellung „Urban Art“ im Weltkulturerbe Völklinger Hütte. Viele weitere werden landesweit und auch bundesweit folgen. Fotos: Oliver Dietze

 Ministerpräsidentin Kramp-Karrenbauer (r.) und Wirtschaftsministerin Rehlinger stützen die Kampagne.

Ministerpräsidentin Kramp-Karrenbauer (r.) und Wirtschaftsministerin Rehlinger stützen die Kampagne.

Alle ahnen Fürchterliches. Völlig zu Recht. Tobias Grimm, Geschäftsführer der renommierten Hamburger Werbeagentur Jung von Matt, und Mark Berwanger, Geschäftsführer der Saarbrücker Agentur HDW, spielen ein kleines Filmchen ein. Die Werbeprofis haben eine Kurzumfrage unter jungen Leuten in Hamburg, Frankfurt und München vorbereitet. Was die denn wohl vom Saarland wissen? Es wird niederschmetternd. Es folgen Botschaften wie "Nichts!" Oder "Keine Ahnung". Auch nicht gerade lustig fallen Aussagen aus wie "Winzig", "komischer Akzent", "Schlechter Tatort" oder gar "Das Land sollte abgeschafft werden." Selbst Werbeprofi Grimm hält erst einmal den Finger in die Wunde: "Mein erster Eindruck vom Saarland waren kaputte Autobahnschilder. Und die nächste Ausfahrt lautete Einöd. Die Autobahnschilder sind schon lange kaputt." Selbst der Flughafen sei ein Trauerspiel, so Grimm. "Wo wird da überhaupt für das Saarland geworben, wenn jemand ankommt?"

Nein, so dann doch nicht. Jetzt soll eine kraftvolle Antwort der Saarländer auf all den Murks folgen. Die soll gleich so überzeugend ausfallen, dass sich möglichst ein konsequentes Selbstbewusstsein der Saarländer durch die gesamte Republik zieht und sozusagen die Botschaft vermittelt wird: Wir sind toll. Kommt zu uns! Ein wenig erinnert die Ausgangslage auch an das berühmte gallische Dorf im Asterix, das sich stets mit Pfiffigkeit, Ironie, Beharrlichkeit und Ausdauer gegen die "Großen" erfolgreich positioniert hat. Der neue Werbespruch für unsere Region lautet denn auch: "Großes entsteht immer im Kleinen." Womit die Leistungsfähigkeit des Bundeslandes, der Menschen und der vielfältigen Produkte gemeint ist, die sich teilweise weltweit verkaufen wie etwa der Ford Focus oder auch Getriebe von ZF, die überall in Autos von BMW eingebaut werden. Nur: Wer weiß das eben in Bayern oder auch an der Ostsee?

Die Werbeprofis wären keine solchen, wenn sie dem ernüchternden "Filmchen" mit den Hiobsbotschaften nicht sogleich ein weiteres hätten folgen lassen. Das soll aufbauen, ermuntern, Selbstbewusstsein wecken. Es vermittelt den Gedanken: Werdet zu Botschaftern eures Landes, erzählt überall, wo ihr hinkommt, was das Land zu bieten hat. Zu sehen sind V&B mit neuesten Produkten, IT-Forscher an der Saar-Universität, Sterne-Köche wie Klaus Erfort, versehen mit der Botschaft "Bei uns gibt es viele Genies am Herd und Genießer am Tisch." Auch Festivals wie Rocco del Schlacko im Köllertal tauchen im Film auf, das sich an ein junges Publikum richtet, weiterhin Ausstellungen im Weltkulturerbe Völklinger Hütte und natürlich auch ein Stück weit das Alt-Bekannte: die Saarschleife.

Eines aber fehlt, etwas ganz Entscheidendes. Und das Publikum bemerkt die Peinlichkeit sofort. Im gesamten Film kommt keine einzige Frau zu Wort. Keine weibliche Führungskraft. Ist das Saarland also doch rückständig, gar eine reine Männergesellschaft? Tobias Grimm versucht sofort zu beschwichtigen. Der Film sei sehr kurzfristig fertiggestellt worden, quasi mit heißer Nadel gestrickt bis kurz vor der offiziellen Präsentation. Selbstverständlich werde man nacharbeiten. Das ist noch an vielen Punkten notwendig. Denn es wird sehr viel Überzeugungskraft kosten, Menschen aus anderen Regionen für den Spruch "Großes entsteht immer im Kleinen" zu begeistern. Um daraus möglichst sogar den Willen entstehen zu lassen, an die Saar zu ziehen. Die Werbestrategen, aber auch das Land und die Saar-IHK, die für die Etablierung der neuen Marketingstrategie jährlich 1,5 Millionen Euro für zunächst fünf Jahre in die Hand nehmen, demonstrieren unverdrossenen Optimismus. Das werde schon klappen. Denn "Trumpfkarte" in dem ganzen Konzept sollen die Saarländer selbst sein. So wollen die Macher der neuen Werbestrategie mit ihren Botschaften im ersten Jahr vor allem überall im Saarland auftreten, um den Menschen aufzuzeigen, was es alles an pfiffigen Geschichten und positiven Botschaften über ihr Land zu erzählen gibt.

In einem zweiten Schritt sollen dann die Saarländer selbst überall, wo sie hinkommen, aktiv als Botschafter für ihre Region auftreten. Sie sollen selbst überzeugend die Vorzüge anderen Menschen schildern, ob auf Dienstreisen oder auch im Urlaub. Dass so etwas funktionieren kann, davon ist auch Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer fest überzeugt. Auch sie selbst gesteht ein, bei Terminen außerhalb immer wieder Heimweh zu bekommen. Das sei schon während ihres Studiums in Trier so gewesen. "Wenn in der Mensa an einem Nachbartisch saarländisch geredet wurde, habe ich mich dazugesetzt." Doch aus all dieser Verbundenheit zum Saarland könne eben jeder Bewohner mehr machen, andere überzeugen, es doch beruflich an der Saar zu versuchen. Kontakte finde man auch schnell. Werbeprofi Tobias Grimm sieht das genauso. Hier könne man sogar schon von der Kindheit an unbesorgt aufwachsen. Mieten seien günstiger als in Großstädten und auch der Kauf eines Eigenheims erschwinglich.

Günstige Mieten und das perfekte Heim; ein Grund, warum man sich beispielsweise in Hamburg auf einige freche Plakat-Botschaften einstellen muss. Dort steht demnächst: "Hier besetzt man Häuser. Bei uns besitzt man sie." Eine kleine Frechheit wird auch ein neuer Automat am Saar-Flughafen sein, an dem man sein Reiseziel eingibt und kleine Marken mit Saar-Motiven und einem Text ausgedruckt bekommt. Die sollen Saarländer am Ziel "heimlich" irgendwo ankleben. Tobias Grimm grinst diebisch. Man könnte ja sowas sogar auch auf dem Empire State Building in New York ankleben. In Englisch, vom Automaten vorgedruckt, mit den Worten: "3852 Miles left to beautiful Saarland." Es müsse ja im Nachhinein keiner wissen, wer das war. Ein Saarländer halt. Und die sind sowieso überall. Die Marketing-Offensive hält Überraschungen bereit. Mal sehen, wer darauf aufmerksam wird. Und wirklich zu uns kommt.

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