Wenn der eigene Cannabis-Garten alternativlos ist

Leipzig · Cannabis als Medikament ist in Deutschland umstritten. Nur wenige Patienten dürfen es überhaupt legal erwerben. Selber anbauen war bislang tabu. Nun gibt es ein wegweisendes Urteil dazu.

 Der Anbau von Cannabis-Pflanzen beschäftigt deutsche Gerichte seit Jahrzehnten. Foto: Fotolia

Der Anbau von Cannabis-Pflanzen beschäftigt deutsche Gerichte seit Jahrzehnten. Foto: Fotolia

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Der Streit um den Cannabis-Anbau zu Therapiezwecken vor dem Bundesverwaltungsgericht dreht sich an diesem Mittwoch immer wieder um eine Frage: Was ist für wirklich schwerkranke Patienten die Alternative? Als die Vorsitzende Richterin Renate Philipp sich damit direkt an die beklagten Vertreter des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) richtet, erhält sie als Antwort: Schweigen. Daraufhin entscheiden die Bundesrichter in Leipzig erstmalig, dass einem schwerkranken Patienten der heimische Anbau von Cannabis ausnahmsweise erlaubt werden muss (Az.: BVerwG 3 C 10.14).

In Leipzig wird noch einmal thematisiert, was schon die Vorinstanzen festgestellt haben. Der Kläger ist chronisch an Multipler Sklerose (MS) erkrankt, kämpft mit spastischen Lähmungen und depressiven Störungen. Kein anderes Medikament hilft ihm in gleicher Weise wie Cannabis. Er ist zuverlässig, hat jahrelange Erfahrungen im Umgang mit der Droge, ist als Erwerbsunfähiger finanziell eingeschränkt. Es sei bei diesem Kläger nicht gerechtfertigt, ihm die Möglichkeit der Selbsthilfe zu versagen, erklärt Philipp.

Derzeit haben in Deutschland nach Angaben des BfArM 635 Patienten eine Ausnahmegenehmigung, Cannabis zur Eigentherapie erwerben zu dürfen. Das sollen sie in der Apotheke tun, wo ein Gramm Medizinalhanf mindestens 15 Euro kostet. Der Knackpunkt: Viele der Schwerkranken können sich das schlicht nicht leisten. Das war auch das Problem des MS-Patienten aus Mannheim, weswegen er die Pflanzen zu Hause anbaute. Nach geltender Rechtslage ist das illegal. Die von ihm gewünschte Sondererlaubnis lehnte das BfArM 2007 ab. Seitdem klagte er sich durch die Instanzen.

"Er braucht pro Tag drei bis vier Gramm", berichtet seine Lebensgefährtin Gabriele Gebhardt in Leipzig . 24 Pflanzen kultiviere das Paar zu Hause. Sie kämen damit auf Kosten von einem Euro pro Gramm. Um die Gärtnerei in den eigenen vier Wänden gehe es ihnen nicht, sie würden sich das Cannabis auch liebend gern aus der Apotheke holen. "Wenn wir das Geld hätten. Haben wir aber nicht", sagt Gebhardt. Die gesetzlichen Krankenkassen übernehmen bislang die Kosten nicht. Cannabis ist ein Betäubungsmittel - und kein verschreibungsfähiges Medikament.

Der Mannheimer ist Patient des Arztes Franjo Grotenhermen, der zugleich Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin ist. "Es gibt keine andere Substanz, die ein so breites Anwendungsspektrum hat wie THC" - von Depressionen bis chronische Schmerzen sei vieles damit behandelbar, erklärt der Mediziner. Die große Bandbreite sei zugleich das große Problem von Cannabis. Es fehlen wissenschaftliche Studien, um die Wirksamkeit bei den einzelnen Indikationen zu belegen. Alles zu erforschen, würde Jahrzehnte dauern. Grotenhermen vertraut bei seiner Lobbyarbeit für Cannabis als Medikament auf die Erfahrung seiner Patienten . "Sie sind weiter als wir Ärzte."

Dass es einen gewissen Handlungsbedarf gibt, hat inzwischen auch das Bundesgesundheitsministerium erkannt. Es hat im Januar einen Gesetzentwurf vorgelegt, der chronisch Kranken den Zugang zu Cannabis aus der Apotheke erleichtern soll - natürlich in "eng begrenzten Ausnahmefällen", wie es im Entwurf heißt. Er regelt auch die Kostenübernahme durch die Krankenkassen. Bis das Gesetz in Kraft tritt, wird noch einige Zeit vergehen. Bis dahin wird der Mannheimer MS-Patient sein Cannabis weiter zu Hause anbauen - ab jetzt legal.

Zum Thema:

Auf einen BlickBis zu 200 000 Menschen in Deutschland leiden an Multipler Sklerose. Dank des medizinischen Fortschritts können immer mehr Betroffene mit dieser Erkrankung des zentralen Nervensystems ein halbwegs normales Leben führen. Es fehlt jedoch an ärztlichem Fachpersonal und speziellen Therapien. Das geht aus einer Untersuchung des Instituts für Gesundheit und Sozialforschung hervor, die gestern veröffentlicht wurde. Eine frühe Behandlung sei entscheidend für den Krankheitsverlauf, sagen die Forscher. Patienten sollten nach einem ersten Schub zeitnah mit verlaufsmodifizierenden Medikamenten behandelt werden, um die Schwere und Häufigkeit von weiteren Schüben zu verringern. Jedoch erhielte nur jeder zweite Patient im Jahr seiner Diagnose eine Therapie. vet

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