Wenn 12,9 Millionen Menschen unter die Armutsgrenze fallen

Berlin · Die Zahl der Abgehängten in Deutschland erreicht einen neuen Höchststand, beklagen Sozialverbände. Im Saarland ging die Armutsquote demnach leicht zurück.

Etwa jeder sechste Bürger in Deutschland gilt als einkommensarm. Wie aus dem gestern vorgestellten Armutsbericht des Paritätischen Gesamtverbandes hervorgeht, ist der Anteil der Armen an der Bevölkerung nach einem leichten Rückgang auf einen neuen Rekord gestiegen. Allerdings ist die Methode umstritten.

Wer gilt in Deutschland überhaupt als arm?

Arm ist, wer über weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens verfügt. Das schließt auch alle staatlichen Transfers wie Kindergeld oder Wohngeld ein. Nach dieser gängigen EU-Definition lag die Armutsgefährdungsschwelle im Jahr 2015 für einen Single-Haushalt in Deutschland bei 942 Euro im Monat. Bei einer Alleinerziehenden mit einem Kind lag die Schwelle bei 1225 Euro, für eine Familie mit zwei minderjährigen Kindern bei 1978 Euro.

Wie hat sich die Armut entwickelt?

Der Untersuchung zufolge galten 2015 rund 12,9 Millionen Menschen in Deutschland als arm. Das waren etwa 400 000 mehr als im Jahr zuvor. Die aktuelle Armutsquote erhöhte sich damit um 0,3 Prozentpunkte auf 15,7 Prozent. Im Zehn-Jahresvergleich bedeutet das einen neuen Höchstwert.

Gibt es regionale Unterschiede?

Ja. Vier der 16 Bundesländer, nämlich Sachsen-Anhalt (20,1 Prozent), Brandenburg (16,8), das Saarland (17,2) und Rheinland-Pfalz (15,2), konnten ihre Armutsquoten leicht reduzieren. In Nordrhein-Westfalen blieb sie mit 17,5 Prozent unverändert. Die übrigen Bundesländer verzeichneten dagegen einen mehr oder minder ausgeprägten Anstieg der Armut. Am stärksten traf es Berlin mit einem Zuwachs um 2,4 auf 22,4 Prozent. Trauriger Spitzenreiter bleibt Bremen mit 24,8 Prozent. Deutlich unterdurchschnittlich sind die Quoten dagegen nach wie vor in Bayern (11,6 Prozent), Baden-Württemberg (11,8) und in Hessen (14,4). Niedersachsen liegt mit 16,5 Prozent im Mittelfeld.

Wer sind die Risikogruppen?

Laut Untersuchung haben Erwerbslose das größte Armutsrisiko. 59 Prozent sind davon betroffen. Es folgen die Alleinerziehenden (43,8 Prozent), Ausländer (33,7) sowie Menschen mit geringem Qualifikationsniveau (31,5).

Was sagt der Sozialverband?

Der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, Ulrich Schneider, nannte es "politisch skandalös", dass die Armut bei allen bekannten Risikogruppen noch einmal zugenommen habe. Zugleich stellte er klar: "Armut beginnt nicht erst dann, wenn Menschen verelenden".

Wie verlässlich ist die Untersuchung?

Das ist umstritten. Während Schneider bei der EU-basierten Berechnung sogar noch von einer "Unterschätzung" der tatsächlichen Dimension von Armut ausgeht, kritisierte zum Beispiel der Städte- und Gemeindebund die 60-Prozent-Schwelle als "zu pauschal", um Armut zu messen. Tatsächlich bleiben zum Beispiel regionale Einkommensunterschiede unberücksichtigt. Würde man etwa nur die Berliner Einkommen nehmen, dann ergäbe sich für die Hauptstadt eine Armutsquote von nur 15,3 statt 22,4 Prozent. Dies käme aber "einem Schönrechnen" gleich, heißt es in dem Bericht. Auch die regional unterschiedlichen Lebenshaltungskosten werden ausgeblendet.

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