Waterloo – Die Mutter aller Niederlagen

Waterloo · Im Städtchen Waterloo vor den Toren Brüssels wurde Napoleon Bonaparte am 18. Juni vor 200 Jahren besiegt. Die Schlacht, der nun mit großem Pomp und viel Kanonendonner gedacht wird, hat Europa verändert.

Zwei Männer beugen sich über eine Karte von Waterloo und diskutieren über strategische Standorte und gute Nachschubwege. Die Schlacht steht kurz bevor. Wo soll die Frittenbude hin, wo der Bierstand? Die beiden Gastronomen sitzen im Café Wellington, der Touristenkneipe auf dem Gelände der Gedenkstätte, und planen die Verköstigung vieler tausend Gäste, die kommende Woche erwartet werden. Morgen jährt sich die Schlacht von Waterloo zum 200. Mal.

Belgiens Königspaar empfängt Royals aus Großbritannien und den Niederlanden sowie Vertreter Deutschlands, Frankreichs und der Europäischen Union. Die Nachfahren der drei beteiligten Feldherren Napoleon Bonaparte, Gebhard Leberecht von Blücher und Arthur Wellesley, besser bekannt als Duke of Wellington, reichen sich symbolisch die Hände. An den beiden Folge tagen stellen Marc van Meerbeek und weitere 6500 Laiendarsteller mit 300 Pferden und 100 Artilleriegeschützen die Kampfhandlungen von einst nach.

"Sich das vorzustellen ist schon spannend", sagt der belgische Polizist, "die Geschichte nachzuspielen aber ist nicht zu überbieten." Es ist eine Geschichte, die Europa verändert hat: Napoleon war zwei Jahre zuvor in der Leipziger Völkerschlacht erstmals geschlagen worden. Doch der danach nach Elba verbannte Kaiser kehrte zurück und versammelte erneut Gefolgsleute hinter sich.

Vielleicht hätte er auch später gestoppt werden können, doch alle Beteiligten rechneten nun mit der Entscheidung. Russlands Zar Alexander, dessen Truppen ebenfalls Richtung Frankreich marschierten, aber noch weit entfernt waren, sagte dem Duke of Wellington als Anführer der britisch-niederländischen Armee in Brüssel: "Es ist an Ihnen, die Welt zu retten."

Die Belgier haben zum Jahrestag ein neues Museum errichtet, das mit Karten, Kostümen, animierten Bildern und einem imposanten 3-D-Film die Entscheidungsschlacht lebendig werden lässt. Wer zuvor auf dem als Friedensmahnmal errichteten Löwenhügel war, von dem aus eins der kleinsten Schlachtfelder der Geschichte überblickt wird, bekommt eine Ahnung, wie sich drei Armeen auf nur acht Quadratkilometern bekriegten und welch große strategische Bedeutung einzelne Gutshöfe auf dem Gelände erlangten. La Haie-Sainte, Belle Alliance und Hougoumont haben feste Plätze in der Militärgeschichte sicher.

"Sein Waterloo erleben" - Der Name der 30 000-Einwohner-Stadt südlich von Brüssel ist Inbegriff der Niederlage schlechthin geworden. Und das nicht erst seit die schwedische Popgruppe Abba mit "Waterloo " 1974 den Eurovision Song Contest gewann. Seither weiß jeder: "Napoleon did surrender", und auch jedes persönliche Scheitern ist treffend mit "my Waterloo " beschrieben. Napoleons Niederlage wurde schon früher zum Symbol, weil sie so endgültig war. "Der Kaiser war nicht nur besiegt", schreibt der Historiker Bernard Cornwell, "er war vernichtet." Und das gegen jede Erwartung, wo er doch über mehr Männer, mehr Geschütze und mehr Genie verfügte als Wellington, der sich selbst stets als zweitbesten Militärstrategen hinter Napoleon sah.

Der hatte Überraschungsmoment und taktischen Vorteil auf seiner Seite. Noch vier Tage vor Waterloo ahnten die Gegner nichts von einem Angriff. Erst am 15. Juni erfuhr Wellington, dass Napoleons 125 000 Mann über Charleroi herangerückt waren, einen Keil zwischen die eigenen 95 000 Mann und jene 115 000 von Blücher getrieben hatten und die getrennten Armeen nun einzeln schlagen konnten. Berühmterweise ließ sich der Duke aber nicht davon abbringen, auf dem Brüsseler Ball der Duchess von Richmond ein Tänzchen zu wagen. Der Preis dafür war, dass Napoleon Blüchers Armee am Folgetag bei Quatre-Bras zum Rückzug zwang. Wie es dennoch zur Mutter aller Niederlagen kommen konnte, fasziniert bis heute. Im Zentrum der Überlegungen steht die Allianz Wellingtons und Blüchers. "Beide Befehlshaber wussten, dass ihre Armeen Napoleon nicht allein schlagen konnten", schreibt Cromwell: "Sie mussten ihre Kräfte bündeln, um zu siegen." Und sie konnten sich aufeinander verlassen - Wellington darauf, dass Blücher rechtzeitig auf das Schlachtfeld zurückkehren würde, Blücher darauf, dass Wellingtons Truppen bis dahin dem Ansturm Stand halten würden. Der britische Historiker Brendan Simms betont die Internationalität der ersten multinationalen Interventionsarmee. Wellingtons Heer bestand zu 36 Prozent aus Engländern, Schotten, Walisern und Iren, zu 13 Prozent aus Niederländern und sechs Prozent aus Flamen und Wallonen, die zwei Jahrzehnte später Belgien bildeten. Der Rest stammte aus dem Deutschland - 17 Prozent Hannoveraner und je zehn Prozent Braunschweiger und Nassauer. Ein weiteres Zehntel stellte die "King's German Legion", eine Einheit ebenfalls aus Hannover, jene 400 Soldaten, die die Schlacht von Waterloo entschieden. Am Bauernhof La Haie-Sainte erinnern Gedenktafeln daran, wie sie den wichtigen Posten verteidigten und Napoleons Truppen aufhielten, bis Blücher eintraf.

Die Wunden von Waterloo sind auf der linken Rheinseite immer noch spürbar. Für Frankreich ist es deshalb auch nicht so einfach, überhaupt an den Gedenkfeiern teilzunehmen. Die Organisation des Jubiläums gestaltete sich schwierig. Augenfällig wurde Europas unterschiedliche Erinnerungskultur, als die belgische Regierung Zwei-Euro-Münzen zum 200-Jährigen prägen ließ. Paris intervenierte, warnte vor einer "feindseligen Reaktionen in Frankreich". Die Belgier mussten das Geld daraufhin einschmelzen.

Es sind noch immer Weizenfelder, die sich an die sanfte Anhöhe schmiegen, von der aus Wellingtons Armee Napoleons Angriffe abwehrte. Nun sind dort Zuschauertribünen für das Jubiläum aufgebaut, die Nachstellung der Schlacht. Belgien will mit dem Event etwas nachholen, weil der 100. Jahrestag nicht gefeiert werden konnte. 1915 war das Land nämlich wieder ein Schlachtfeld - im Ersten Weltkrieg.

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