Wanderer, komm mit zum Erbe der Bergleute

Saarbrücken · Industriekultur ist das eine, das spektakuläre. Bergmanns-Kultur ist das, was Heimatmuseen bewahren. Der Museumsverband Saar will die Menschen mitnehmen auf die Dörfer. Wir haben die erste Wanderroute „Auf den Spuren der Bergmannsbauern“ im Ostertal ausprobiert.

De alt Sperling, der hätte den Kopf geschüttelt: viel zu glatt, die Schuhsohlen. Kein Wunder, dass man auf der rutschigen Berg- und Talstrecke im Wald zwischen Steinbach und Fürth nicht so zügig vorankommt wie geplant. Fast eine Stunde dauert's. Und überhaupt: Wie verrückt muss man sein, den Weg zu Wern's Mühle aus reinem Vergnügen zu machen, als kleine sportliche Mittelgebirgstour? 200 Höhenmeter sind zu überwinden, die Ausblicke von oben ins Tal des Steinbachs und später auf die vital rauschende Oster, sie sind heute des Wanderers Lust. Tägliche Pflicht war das "Dippeln" für den alten Sperling, mit richtigem Namen August Kennel. 25 Jahre lang, von 1887 bis 1912, marschierte er auf dem Bergmannspfad zur Grube Kohlwald in Wiebelskirchen und zurück, rund eineinviertel Stunden dauerte das. Vermutlich trug Kennel ähnliche Schuhe, wie die, die in der Schuster-Stube des Steinbacher Heimatmuseums aufgereiht sind: ungesund stählern wirkende Treter mit Nägeln unter den Sohlen. Wer so was trug, wurde wohl zwangsweise zum "Hartfüßler" - zehntausende gab es im gesamten Saargebiet. Schätzungsweise dürften vor dem Ersten Weltkrieg mehr als die Hälfte der rund 55 000 Grubenarbeiter Bergbaupendler gewesen sein. Welch eine Armada, die da durch die Wälder und Dörfer zog! Die Steinbacher Chronik meldet zu dieser Zeit 213 Bergleute, das war jeder fünfte Einwohner des Dorfes. Erst 1938 ging der erste Bergmannsbus. Wer in Steinbach Bergmann war, war zugleich auch Nebenerwerbsbauer. Eine saarländische Spezialität wie das Hartfüßlertum.

"Schwarze Wege" durchzogen noch bis zum Zweiten Weltkrieg wie ein Netz die gesamte Region bis in den Hochwald hinein. Sie führten meist schnurgerade auf kürzestem Weg vom Wohnort zur Grube, über Stock und Stein, wurden selbst getrampelt oder von der Grubenverwaltung angelegt. Fördertürme sahen die Hartfüßler erst am Ziel. Doch unsere Zeit versteht die Gerüste als Hauptzeugen und Hauptdarsteller der Industriekultur. "Fördertürme gibt es auch im Ruhrgebiet", sagt hingegen Rainer Raber, Chef des Saarländischen Museumsverbandes. "Die Bergarbeiter haben viel mehr Spuren hinterlassen als das, was auf der Route der Industriekultur offiziell vermittelt wird", meint er. Raber wurde nicht nur in Steinbach geboren, er hat dort auch die Verantwortung für das Heimatmuseum, in dem eine Bergmannbauern-typische Wohnstube samt Milchküche und 70 historische Fotos den familiären Alltag und das soziale Miteinander dokumentieren. Manches wirkt wie Film-Schnipsel aus Edgar Reitz ' "Heimat". "Ich möchte die Bergbau-Erinnerungskultur auf eine neue Ebene heben", sagt Raber. Sprich, sie in den Dörfern und in der Natur wieder sichtbar machen, dort, wo sich die Bergleute einst bewegten.

Wir sind auf der "Pilotstrecke" unterwegs, sie führt von Steinbach über Fürth nach Dörrenbach , das zeitvergessene Abgeschiedenheit ausstrahlt, während Steinbach mit seiner ländlichen Nullachtfünfzehn-Architektur keinen Denkmalschutz-Wettbewerb gewinnen kann: Aus Ställen wurden Garagen. Hier als Ortsunkundiger Spuren von Bergmannsbauern wiederzufinden, die angeblich noch bis 1956 auf Lehmstraßen schlachteten, fällt schwer. Auch in Dörrenbach ist das Heimatmuseum in einem nüchternen Zweckbau untergebracht, dem Dorfgemeinschaftshaus. Zur Bergbau-Abteilung muss man sich vorkämpfen, an Militaria und Gefallenen-Listen der Weltkriege und der ausgestopften Vogelwelt vorbei. Aber dann hält man angesichts der Nachbildung eines Stollens den Atem an: So beängstigend eng waren die?! 40 Zentimeter breit, 25 Meter lang. Nur auf dem Rücken liegend und kriechend konnte man dort arbeiten. Mit den Füßen strampelten die Männer die Kohle raus. Man sieht die Szene vor sich, denn im Stollen steckt das lebensgroße Modell eines Kohle schürfenden Bergmanns. In Dörrenbach also ein krasser Anschauungsunterricht zur Arbeitswelt.

Zuvor hat man bei "Wern's Mühle" erfahren, dass sich die Pflicht auch mit Vergnügen koppeln ließ. Dann nämlich, wenn die Bergleute mit Ochsenkarren ihr Kohledeputat auf den Gruben abholten. Dann machten sie in Fürth Station, übernachteten oft auch dort. Zur Ölmühle - 1841 gebaut und heute ein schmuckes technisches Denkmal mit Schaupressungen - trat ein Gasthausbetrieb. Bis 1959 blieb die Mühle in Betrieb, das Ausflugslokal überlebte viel länger - und blüht jetzt wieder dank der regionalen Küche von Markus Keller. Er und seine Frau haben das alte Bauernhaus vorbildlich renoviert, jede Romantisierung unterlassen. Alle Funktionen sind noch erkennbar: die früheren Ställe, der Wohntrakt, davor der früher mit einer Mauer geschützte Hof für die Wagen der Bergleute, heute ein Biergarten. Und dann gibt es das beeindruckende Denkmal, die eigentliche Mühle im Seitentrakt. Das mächtige Holz-Wasserrad liegt nicht außen, sondern im Haus, treibt über ein Gewirr von Riemen und Bändern die Pressanlage an. Bis heute, zu Schauzwecken.

Willi Wern (70) macht die Führungen. Wer nicht nur technische Details hören will, kann das hören, was Wern als Junge mit den Bergmännern erlebt hat. Wie ganze Kerls in feinen dunklen Anzügen ihr Mohn- oder Raps-Saatgut auf Ochsenkarren anlieferten, wie sie im Lokal munter zechten, schließlich ging's erst am nächsten Morgen weiter. Von wegen arme Schlucker. Zigarrenrauch füllte die Räume. "Die Leute haben sich was gegönnt", erinnert sich Wern. "Es wurde viel getrunken." Das nicht erst nach dem Krieg. Bereits 1907 belegen Bestellbücher, dass es nicht nur einen Ausschankwein gab, sondern verschiedene Lagen von Mosel und Saar . Selbst unterschiedliche Biersorten wurden angeliefert, Zigarren sowieso.

Harte Arbeit, geselliges Miteinander, davon erzählt diese Station auf der Route ganz unmittelbar. Zudem imponiert die historische Press-Technik. "Das Stempelpressverfahren von 1922, das wir hier haben, ist heute immer noch das beste Verfahren, um wirklich hochwertiges kalt gepresstes Öl herzustellen", sagt Gastronom Markus Keller. "Die Topgastronomie nimmt so was gerne ab." Also ist die Familie Keller munter am Experimentieren. Das Erbe der Bergmannsbauern, es hat hier Zukunft.

 Waldwege oberhalb der Oster gingen früher „Hartfüßler“ zu den Gruben. Heute folgen ihnen Wanderer.Foto: Kuhn

Waldwege oberhalb der Oster gingen früher „Hartfüßler“ zu den Gruben. Heute folgen ihnen Wanderer.Foto: Kuhn

Foto: Kuhn
 Willi Wern (2.v.r) erklärt gerne die historischen Zusammenhänge der Wernschen Ölmühle. Foto: Dietze

Willi Wern (2.v.r) erklärt gerne die historischen Zusammenhänge der Wernschen Ölmühle. Foto: Dietze

Foto: Dietze

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Auf einen Blick"Auf den Spuren der Bergmannsbauern - eine Entdeckertour im Ostertal" ist ein Pilotprojekt des Saarländischen Museumsverbandes in Kooperation mit dem Landesverband der Bergmanns-, Hütten- und Knappenvereine. Ziel ist es, Natur, Gastronomie und bergmännische Alltagshistorie zu verknüpfen. Das Projekt ist integriert in den Freizeitführer Saar-Moselle; es wurde eine App zur Wegführung mit lokalhistorischen Informationen entwickelt. Nach dem Muster der Ostertal-Route sollen Touren etwa im Sulzbachtal, im Warndt und im Hochwald entwickelt werden. ce

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