Wahrheit nach Moskauer Art

Moskau/Homburg · Moskauer Medien berichten viel über Deutschlands Flüchtlingsprobleme. Das verhilft Putin, im eigenen Land glänzend dazustehen. Doch einige Horrorgeschichten sind schlicht gefälscht. Russlands Propaganda stützt sich dabei auf Pegida und Co.

 Grafik: Lorenz

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Wissen russische Medien mehr als die deutsche Polizei ? "Russische Deutsche überfallen Flüchtlingsheim in Deutschland", berichtete das Moskauer Sensationsblatt "Sowerschenno Sekretno" (Streng geheim) vergangene Woche. Weil die deutschen Behörden hilflos seien gegen Flüchtlinge, hätten etwa 400 russischstämmige Männer zur Selbsthilfe gegriffen und mit Baseballschlägern ein Heim in Bruchsal aufgemischt. Wenn die Geschichte einen wahren Kern haben sollte, ist er um das Hundertfache aufgebauscht worden. Nach Polizeiangaben haben vier Männer am Samstag, 16. Januar, im Nachbarort Karlsdorf-Neuthard ein Fenster in einer Flüchtlingsunterkunft eingeworfen, Sachschaden 300 Euro. Doch der Artikel ist typisch. Spätestens seit den Übergriffen von Köln in der Silvesternacht wird Deutschland in russischen Medien als Land kurz vor dem Zusammenbruch dargestellt. "Die Ereignisse von Köln haben die Gesellschaft gespalten", heißt es beim TV-Sender Rossija24. "Immer weniger Menschen glauben, dass die Migranten keine Gefahr darstellen." Bürgerwehren seien an der Tagesordnung.

Die propagandistische Botschaft der vom Kreml gesteuerten Medien: Europa ist schwach, ein unsicherer Ort, überrannt von Fremden. "Entweder die neue Völkerwanderung wird gestoppt, oder Europa muss untergehen", sagte der nationalistische Politiker Wladimir Schirinowski dem Boulevardblatt "Komsomolskaja Prawda". Verglichen damit scheint Russland unter Präsident Wladimir Putin glänzend dazustehen - auch wenn der Rubel abstürzt, die Einkommen sinken und das Land Krieg führt in Syrien und verdeckt in der Ukraine.

Vor allem die großen Fernsehsender werden auch von etwa 2,3 Millionen Menschen in Deutschland gesehen, deren Wurzeln in der Sowjetunion liegen. Einige Beiträge wirken, als sollten sie eine Pogromstimmung unter den Russlanddeutschen schüren. Da ist zum Beispiel der Fall eines 13-jährigen russlanddeutschen Mädchens aus Berlin, das kurz als vermisst gemeldet war. Es sei von Flüchtlingen entführt und vergewaltigt worden, behauptete die Nachrichtensendung "Westi". Gestern schaltete sich der russische Außenminister Sergej Lawrow ein und forderte von den deutschen Behörden lückenlose Aufklärung. Es nützte nichts, dass die Berliner Polizei über Tage geduldig klarstellte: "Fakt ist - nach den Ermittlungen unseres LKA gab es weder eine Entführung noch eine Vergewaltigung."

Am Samstag demonstrierten 700 Russischsprachige vor dem Kanzleramt gegen kriminelle Flüchtlinge. Der Berliner Ableger der ausländerfeindlichen Pegida-Bewegung, "Bärgida", hatte unter dem Motto "Wir sind gegen Gewalt" zu der Kundgebung aufgerufen. Auch in Homburg und Kaiserslautern wollen am kommenden Wochenende Menschen unter dem Motto "Schützt unsere Frauen und Mädchen vor sexuellen Übergriffen" auf die Straßen gehen, berichtet die Polizei . Die Einladung dazu erfolgte auf Deutsch und Russisch.

Der Erste Kanal des russischen Fernsehens berichtete erneut ausführlich. Dass die deutsche Polizei angehalten ist, Straftaten von Ausländern zu verschweigen - davon gehen Moskauer Staatsmedien genauso aus wie Anhänger der rechtsgerichteten Pegida. Auf der Webseite des russischen Privatsenders REN TV sind Artikel zu Köln unter süffisanten Schlagworten wie "Sex-Migranten" oder "Gast-Sexuelle" zu finden. In einem Beitrag über die Silvesternacht wurden vermutlich Bilder geschnitten, die Übergriffe bei Demonstrationen in Kairo 2011 zeigen.

Der Ex-Nachrichtenredakteur Alexej Kowaljow und seine Mitstreiter bemühen sich, Fälschungen und Unwahrheiten der russischen Medien aufzudecken. Auch in Sachen Bruchsal und Berlin haben sie recherchiert: "Offenbar braucht die russische Propagandamaschine dringend Geschichten zur Ablenkung."

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