Taliban-Terror Was folgt auf die afghanische Wahl mit Chaos und Gewalt?

Kabul · (dpa) Afghanistan hat gewählt – doch die Abstimmung am Wochenende selbst ist angesichts des organisatorischen Chaos und etlicher Toter bei Anschlägen fast untergegangen.

Wie viele Opfer gab es im Zuge der Parlamentswahl?

Bei Angriffen islamistischer Extremisten kamen am Samstag laut der Regierung mindestens 28 Menschen ums Leben, mindestens 102 weitere wurden verletzt. Die radikalislamischen Taliban hatten bereits im Vorfeld zum Boykott aufgerufen und mit Anschlägen gedroht – zumal Wahlen das politische System stärken, das sie bekämpfen. Die Taliban machten ihre Drohungen wahr und griffen in mindestens zehn Provinzen Wahleinrichtungen an. Sie feuerten Raketen und Mörsergranaten auf Wahlstationen, platzierten Bomben in ihrer Nähe, errichteten Straßensperren. Dennoch haben sich viele Menschen nicht davon abbringen lassen, wählen zu gehen. Laut Unabhängiger Wahlkommission nahmen rund drei Millionen Menschen an der bis gestern ausgedehnten Abstimmung teil. Insgesamt hatten sich mehr als 2500 Kandidaten für 250 Sitze in der Wolesi Dschirga (Haus des Volkes) beworben.

Welche Bedeutung hat dieses Wochenende für Afghanistan?

Es war die dritte Parlamentswahl seit dem Fall der Taliban 2001 und die erste, die gänzlich von den Afghanen selbst durchgeführt wurde. Die Abstimmung galt obendrein als wichtiger Testlauf für die Präsidentschaftswahl im April 2019. Doch die Hoffnung, die Wahl könne zur Stabilisierung des Landes beitragen und die demokratischen Institutionen stärken, wurde durch die Anschläge und massive Schwierigkeiten bei der Wahlorganisation getrübt. Das Vertrauen der Menschen in ihre Regierung schwindet weiter. Kommen nun bis zur für den 10. November geplanten Veröffentlichung erster Wahlergebnisse weitere Probleme bei der Stimmauszählung oder Vorwürfe von Wahlfälschung hinzu, dürfte das die politische Unruhe in dem Land weiter anheizen.

Wie reagiert die afghanische Bevölkerung auf das Wahlchaos?

Laut dem Afghanistan-Experten Thomas Ruttig von der Denkfabrik Afghanistan Analysts Network sei vielen Afghanen schon vor der Wahl klar gewesen, dass das Wahlsystem viele Unzulänglichkeiten aufweise. Bewahrheitet haben sich nun vor allem die Bedenken rund um die Organisation: Vielerorts fehlten Wahlmaterialien, teils wurden falsche Wählerlisten geliefert. Viele Menschen reagierten enttäuscht: Sie sagten, sie hätten ihr Leben riskiert, um trotz der latenten Anschlagsgefahr ihre Stimme abgeben zu können – doch die Regierung habe sie durch die immens schlechte Organisation hängen lassen. Manche spotten, Inkompetenz habe sogar über den Terror gesiegt, das Organisationschaos habe selbst die Anschläge in den Schatten gestellt.

Vor der Wahl wurde ein biometrisches System zur Wählererkennung eingeführt. Verhindert es befürchtete Wahlmanipulationen?

Nicht unbedingt. Laut Wahlkommission sollten ursprünglich nur jene Stimmen gezählt werden, die auch in dem biometrischen System hinterlegt sind – also von Wählern kommen, die bei der Stimmabgabe biometrisch erfasst werden. Allerdings kamen die Geräte nicht rechtzeitig in allen Wahlstationen an. Dort, wo sie ankamen, traten häufig technische Probleme auf. Daher entschied die Wahlkommission schnell, auch die Stimmen von Wählern zu zählen, die nicht biometrisch erfasst waren worden.

Wie geht es nun weiter?

Zunächst müssen alle Wahlmaterialien wieder eingesammelt werden. Ein großer Aufwand, zumal Dutzende Wahlstationen wegen der schlechten Sicherheitslage durch die Armee von der Luft aus beliefert werden mussten und Materialien nun auch durch Gebiete transportiert werden müssen, in denen die Taliban aktiv sind. Im Anschluss sollen die biometrischen Geräte ausgewertet werden, um Mehrfachwähler auszusieben. Im November sollen die ersten Ergebnisse feststehen.

(dpa)
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