Pressestimmen Voreiliger Stolz bei den Grünen, wenig Freude auf GroKo

Die „Frankfurter Rundschau“ hinterfragt die Harmonie beim Grünen-Parteitag am Wochenende:

Der Grünen-Parteitag war bemerkenswert. Abgesehen von dem nachvollziehbaren Stolz auf das Erreichte rühmten die Delegierten Kompromisse, die sie im Ernstfall womöglich verteufelt hätten. Wäre die FDP nicht ausgestiegen, hätten die Sondierer Mühe gehabt, ihre zum Teil kärglichen Früchte über diesen Parteitag zu bringen. Sie hätten oft sagen müssen: Sorry, mehr war nicht drin. Tatsächlich stehen den Grünen schwere Jahre bevor. Kämen Union und SPD zusammen, wären sie die schwächste Oppositionsfraktion im Bundestag. Beim Parteitag hat das noch niemand realisiert. Der Adrenalin-Spiegel war nach dem Untergang vor Jamaika noch zu hoch.

Die „Allgemeine Zeitung“ (Mainz) erkennt im Scheitern von Jamaika dagegen Chancen für die Grünen:

In diesem Scheitern liegt eine Chance für die Grünen. Die Chance, dass die zuletzt tiefen Gräben zwischen Realos und Parteilinken zugeschüttet bleiben, indem man im Januar kluge Personalentscheidungen trifft. Oder die Chance, sich in den kommenden vier Jahren in der Opposition wieder auf die eigenen politischen Kernkompetenzen zurückzubesinnen und das eigene Profil nachzuschärfen. Oder die Chance, der FDP ein paar Wählerstimmen abzutrotzen, indem man sich, wie von Cem Özdemir bereits vorexerziert, als die „eigentliche liberale Partei“ neu erfindet.

Die „Süddeutsche Zeitung“ (München) sieht Christian Lindner als Beispiel eines neuen Politiker-Typs:

Der Häutungsprozess des westlichen Systems hat also begonnen und nun auch Deutschland erfasst. Hochflexible und volatile Gesellschaften erwarten eine flexible Politik, die Ich-Gesellschaft verlangt nach einem Ich-Politiker. Ob die traditionellen Parteien diese Revolution überleben, ist nicht ausgemacht. Seit einer Woche wissen sie aber, was wirklich auf dem Spiel steht.

Die „Hamburger Abendblatt“ verspürt wenig Begeisterung angesichts einer neuen großen Koalition:

Wie vor vier Jahren droht nun ein Bündnis des kleinsten gemeinsamen und teuersten Nenners. Weil die Steuereinnahmen sprudeln, könnten Koalitionsverhandlungen zum weihnachtlichen Wünsch-Dir-Was werden. Wohltaten für die Klientel des Einen könnten mit Geschenken für die Anhänger des Anderen kompensiert werden. Zumal noch völlig unklar ist, wer in die Rolle von Wolfgang Schäuble schlüpfen wird – und ob der neue Finanzminister das Geld zusammenhält. Derzeit bedarf es viel Fantasie und Optimismus, um sich auf eine Große Koalition zu freuen.

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