Ende der Kolonialzeit Der blinde Fleck des Kaiserreichs

Berlin · Auch nach 100 Jahren wird koloniales Unrecht in Deutschland nur zögerlich aufgearbeitet.

(epd/SZ) Afrika, China, Pazifik: An vielen Orten der Erde hatte das Deutsche Kaiserreich seine Kolonien. Erst mit dem Ende des Ersten Weltkriegs und der endgültigen Kapitulation der Truppen unter Paul von Lettow-Vorbeck (in Saarlouis geboren) in Deutsch-Ostafrika am 25. November 1918 ging die deutsche Kolonialherrschaft faktisch zu Ende. Doch auch ein Jahrhundert später gilt diese Epoche der deutschen Geschichte noch nicht als aufgearbeitet.

„Es ist überraschend, wie wenig Emotionen und wie wenig Diskussionen um historische Gerechtigkeit sich über Jahrzehnte hinweg hier in Deutschland mit dem Thema des deutschen Kolonialismus verbanden“, betonte etwa der Direktor des Deutschen Historischen Museums in Berlin, Raphael Gross, bei einem Symposium im Sommer. Für die deutsche Erinnerungskultur habe das Thema bis vor wenigen Jahren praktisch keine Rolle gespielt. Ein blinder Fleck der Erinnerungskultur. Tatsächlich sei etwa die Frage, wo es deutsche Kolonien weltweit gab – etwa Deutsch-Ostafrika, Togo oder Samoa –, kein Pflichtthema in Schulen, klagen Forscher. Einen zentralen Gedenkort für die Opfer deutscher Kolonialverbrechen – etwa des Völkermordes an Herero und Nama im heutigen Namibia – gibt es auch nicht. Und Fragen um Entschädigungen sind weiter ungeklärt.

Erst in jüngster Zeit gerät das Thema in die Diskussion: Museen debattieren über den Umgang mit menschlichen Überresten und Kulturgütern aus der Kolonialzeit. Es gab erste Rückgaben von Gebeinen, etwa Ende August an Namibia. Die Bundesregierung verankerte Anfang 2018 die Aufarbeitung des deutschen Kolonialismus im Koalitionsvertrag.

Lange habe hartnäckig die Meinung vorgeherrscht, dass Deutschland im Vergleich zu Frankreich oder England nur eine „harmlose Kolonialmacht“ gewesen sei, erläutert die Berliner Kolonialismushistorikerin Manuela Bauche. Auch dass die deutsche Kolonialmacht „zivilisatorische Leistungen gebracht habe, ist eine Geschichte, die sich extrem gut gehalten hat“, sagt sie. Dringend nötig sei eine klare Positionierung, dass Kolonialismus kein Abenteuer, sondern „ein Unrechtssystem war, das grundlegend auf Gewalt basierte und Menschen entrechtete“.

Dass die Kolonialismusdebatte in Gang kam, ist nach Ansicht des Historikers Christian Kopp vor allem auf zivilgesellschaftliches Engagement zurückzuführen. Erste zögerliche Versuche habe es von Vertretern der schwarzen Community bereits Ende der 1980er Jahre gegeben. Die Nachfahren der Kolonialisierten seien heute besser ausgebildet und erhöben lauter ihre Stimme. Lokale Aktivisten prangern immer wieder an, dass noch etliche Straßen nach umstrittenen Kolonialisten benannt sind. Die Von-Lettow-Vorbeck-Straße in Saarlouis wurde  2010 in Walter-Bloch-Straße umbenannt. Bloch war erster Nachkriegsbürgermeister

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