Von mutigen Journalisten und feiger Politik

Die Gedanken sind frei." Gleich zweimal - rockig zum Auftakt, pathetisch zum Abschluss - erklingt das alte Volkslied im Homburger Kulturzentrum am Sonntag. Am Ende singen viele Gäste der Vergabe des Jakob-Siebenpfeiffer-Preises an den US-Journalisten Glenn Greenwald inbrünstig mit. "Keiner kann sie erraten", heißt es aber auch in der Hymne, die wohl schon Siebenpfeiffer anstimmte - vor 180 Jahren. Und heute? Wie frei sind Gedanken, wenn sie doch jemand errät? Etwa der US-Geheimdienst NSA, indem er alles verknüpft, was er erfasst - unkontrolliert. Ohne Privatsphäre keine freien Gedanken - und keine Demokratie . Das sagt jedenfalls Greenwald in seiner Homburger Rede - weil Menschen anders entscheiden, wenn sie sich beobachtet fühlen. Wie weit diese Beobachtung schon geht, weiß die Welt nicht zuletzt dank Greenwald, der für die mit 10 000 Euro dotierte Ehrung aus Brasilien eingeflogen ist. Der Jurist und Enthüllungsjournalist hat 2013 dafür gesorgt, dass die spektakulären Informationen des früheren US-Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden über den ausufernden Datenhunger amerikanischer und britischer Geheimdienste weltweit verbreitet wurden. Ihn habe, sagt der 48-Jährige in Homburg, am meisten das Motto der NSA schockiert: "Alles sammeln". Die NSA wolle im digitalen Zeitalter keine Privatsphäre - und "das ist keine Science-Fiction". Sie sei dabei schon sehr weit. Bisher sei das alles im Geheimen geschehen - bis Snowden kam. ,,Er hat die Welt verändert", sagt Greenwald. Der Preis gehe auch an seine ,,mutige Quelle". In einer Videobotschaft aus Moskau, die im Saalbau eingespielt wird, gibt Snowden das Kompliment zurück, würdigt die Risikobereitschaft Greenwalds: "Ich bin ihm persönlich sehr dankbar." Selbst Journalisten hätten sich gegenüber ihrem US-Kollegen als Ankläger aufgeführt, die britische Regierung habe seine Zeitung ,,Guardian" unter Druck gesetzt, seinen Lebensgefährten in London festgehalten. Aber Greenwald habe "die Verantwortung gegenüber der Story nie aufgegeben", sagt Snowden. Das ist auch der Tenor der Bemerkungen des scheidenden Saarpfalz-Landrats Clemens Lindemann und es zieht sich durch die Jury-Begründung, die ihr Vorsitzender, SR-Intendant Thomas Kleist, zitiert. Greenwalds mit hohen persönlichen Risiken verbundener Einsatz erfülle das, worum es beim Siebenpfeiffer-Preis gehe: "Journalistisches Engagement, das keine Rücksichten auf berufliche Karriere oder finanzielle Vorteile kennt." Es ist dies auch Greenwalds Credo: "Presse kann nie Mitarbeiter derer sein, die die Macht haben", sagt er. "Wenn wir Menschen Macht verleihen, ist es unausweichlich, dass diese missbraucht wird" - auch von den Guten. Pressefreiheit müsse dem Grenzen setzen. In diesem Punkt hat er einen Mächtigen auf seiner Seite: Für die Ehrung Greenwalds hat die Siebenpfeiffer-Stiftung Vizekanzler Sigmar Gabriel gewinnen können - trotz aller Fallstricke, die der Fall Snowden für das deutsch-amerikanische Verhältnis bietet. "Demokratie ist kein Schaukelstuhl", würdigt der SPD-Chef Greenwalds Mut, sich auf den Konflikt mit der NSA einzulassen, deren Sprache ,,an die Stasi" erinnere. Und Gabriel findet harte Worte für die Politik der USA. Die NSA-Überwachung sei mehr als ein Gesetzesverstoß, sie lege Hand an die "westliche Wertegemeinschaft". In dieser gingen individuelle Freiheit und der Schutz der Persönlichkeit vor - "genau das hat uns einst vom Ostblock unterschieden". Aber Gabriel geht es nicht nur um staatliche Überwachung, auch um das Datensammeln privater Anbieter. Am Abend eröffnet er die Computer-Messe Cebit, wo er die "Euphoriker" des Internets vermutet. Hier in Homburg sieht er die "Aufpasser". Klar ist für ihn: ,,Der Geist der Digitalisierung und Vernetzung ist aus der Flasche." Um ihn zu beherrschen, schlägt er eine Orientierung an den Werten der "analogen Welt" vor, etwa der Unverletzbarkeit der Würde. Europa rät er, Datensicherheit für Firmen als Standortvorteil zu nutzen. Greenwald will er nicht in allen Punkten folgen. Die Terror-Bedrohung werde nicht ,,maßlos übertrieben" und er sei "überzeugt, dass die Sicherheit den Einsatz geheimdienstlicher Methoden erforderlich" mache - allerdings "im Rahmen von Recht und Gesetz". Es ist nicht der einzige Dissens zwischen Laudator und Preisträger . "Es bleibt eine offene Wunde", sagt Gabriel über Snowden in seinem Moskauer Exil, "dass wir unfähig sind, ihm zu helfen." Und als ein Zwischenrufer fordert, dies zu ändern, wird Gabriel genauer. Nach bestehenden Abkommen mit den USA wäre Deutschland gezwungen, Snowden an diese auszuliefern, weil er widerrechtlich Daten von dort mitgenommen habe. "Die europäische Rechtsordnung ist darauf nicht vorbereitet. Das ist die bittere Wahrheit." Greenwald widerspricht dem entschieden und wirft der deutschen Regierung indirekt Feigheit vor. Deutschland habe die rechtliche, moralische und ethische Verpflichtung, Snowden politisches Asyl zu gewähren. Berlin habe von Snowdens Opfer, dem Einsatz seiner Freiheit, profitiert. Die Deutschen hätten erst durch ihn erfahren, dass sie Ziel von Massenüberwachung sind, die Behörden, wie verwundbar ihre Kommunikation ist, die Kanzlerin, dass sie abgehört wird. Nun drehe man Snowden ,,sehr unwürdig" den Rücken zu, lehne ab, das zu tun, was er für Deutschland getan habe: Ein kleines Risiko einzugehen, um seine politischen Rechte zu schützen. Das sei eine "Schande" und lasse "tief blicken". Da aber ist Vizekanzler Gabriel schon weg - zur Cebit.

Die Gedanken sind frei." Gleich zweimal - rockig zum Auftakt, pathetisch zum Abschluss - erklingt das alte Volkslied im Homburger Kulturzentrum am Sonntag. Am Ende singen viele Gäste der Vergabe des Jakob-Siebenpfeiffer-Preises an den US-Journalisten Glenn Greenwald inbrünstig mit. "Keiner kann sie erraten", heißt es aber auch in der Hymne, die wohl schon Siebenpfeiffer anstimmte - vor 180 Jahren. Und heute? Wie frei sind Gedanken, wenn sie doch jemand errät? Etwa der US-Geheimdienst NSA, indem er alles verknüpft, was er erfasst - unkontrolliert.

Ohne Privatsphäre keine freien Gedanken - und keine Demokratie . Das sagt jedenfalls Greenwald in seiner Homburger Rede - weil Menschen anders entscheiden, wenn sie sich beobachtet fühlen. Wie weit diese Beobachtung schon geht, weiß die Welt nicht zuletzt dank Greenwald, der für die mit 10 000 Euro dotierte Ehrung aus Brasilien eingeflogen ist. Der Jurist und Enthüllungsjournalist hat 2013 dafür gesorgt, dass die spektakulären Informationen des früheren US-Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden über den ausufernden Datenhunger amerikanischer und britischer Geheimdienste weltweit verbreitet wurden.

Ihn habe, sagt der 48-Jährige in Homburg, am meisten das Motto der NSA schockiert: "Alles sammeln". Die NSA wolle im digitalen Zeitalter keine Privatsphäre - und "das ist keine Science-Fiction". Sie sei dabei schon sehr weit. Bisher sei das alles im Geheimen geschehen - bis Snowden kam. ,,Er hat die Welt verändert", sagt Greenwald. Der Preis gehe auch an seine ,,mutige Quelle".

In einer Videobotschaft aus Moskau, die im Saalbau eingespielt wird, gibt Snowden das Kompliment zurück, würdigt die Risikobereitschaft Greenwalds: "Ich bin ihm persönlich sehr dankbar." Selbst Journalisten hätten sich gegenüber ihrem US-Kollegen als Ankläger aufgeführt, die britische Regierung habe seine Zeitung ,,Guardian" unter Druck gesetzt, seinen Lebensgefährten in London festgehalten. Aber Greenwald habe "die Verantwortung gegenüber der Story nie aufgegeben", sagt Snowden.

Das ist auch der Tenor der Bemerkungen des scheidenden Saarpfalz-Landrats Clemens Lindemann und es zieht sich durch die Jury-Begründung, die ihr Vorsitzender, SR-Intendant Thomas Kleist, zitiert. Greenwalds mit hohen persönlichen Risiken verbundener Einsatz erfülle das, worum es beim Siebenpfeiffer-Preis gehe: "Journalistisches Engagement, das keine Rücksichten auf berufliche Karriere oder finanzielle Vorteile kennt."

Es ist dies auch Greenwalds Credo: "Presse kann nie Mitarbeiter derer sein, die die Macht haben", sagt er. "Wenn wir Menschen Macht verleihen, ist es unausweichlich, dass diese missbraucht wird" - auch von den Guten. Pressefreiheit müsse dem Grenzen setzen.

In diesem Punkt hat er einen Mächtigen auf seiner Seite: Für die Ehrung Greenwalds hat die Siebenpfeiffer-Stiftung Vizekanzler Sigmar Gabriel gewinnen können - trotz aller Fallstricke, die der Fall Snowden für das deutsch-amerikanische Verhältnis bietet. "Demokratie ist kein Schaukelstuhl", würdigt der SPD-Chef Greenwalds Mut, sich auf den Konflikt mit der NSA einzulassen, deren Sprache ,,an die Stasi" erinnere. Und Gabriel findet harte Worte für die Politik der USA. Die NSA-Überwachung sei mehr als ein Gesetzesverstoß, sie lege Hand an die "westliche Wertegemeinschaft". In dieser gingen individuelle Freiheit und der Schutz der Persönlichkeit vor - "genau das hat uns einst vom Ostblock unterschieden".

Aber Gabriel geht es nicht nur um staatliche Überwachung, auch um das Datensammeln privater Anbieter. Am Abend eröffnet er die Computer-Messe Cebit, wo er die "Euphoriker" des Internets vermutet. Hier in Homburg sieht er die "Aufpasser". Klar ist für ihn: ,,Der Geist der Digitalisierung und Vernetzung ist aus der Flasche." Um ihn zu beherrschen, schlägt er eine Orientierung an den Werten der "analogen Welt" vor, etwa der Unverletzbarkeit der Würde. Europa rät er, Datensicherheit für Firmen als Standortvorteil zu nutzen.

Greenwald will er nicht in allen Punkten folgen. Die Terror-Bedrohung werde nicht ,,maßlos übertrieben" und er sei "überzeugt, dass die Sicherheit den Einsatz geheimdienstlicher Methoden erforderlich" mache - allerdings "im Rahmen von Recht und Gesetz". Es ist nicht der einzige Dissens zwischen Laudator und Preisträger . "Es bleibt eine offene Wunde", sagt Gabriel über Snowden in seinem Moskauer Exil, "dass wir unfähig sind, ihm zu helfen." Und als ein Zwischenrufer fordert, dies zu ändern, wird Gabriel genauer. Nach bestehenden Abkommen mit den USA wäre Deutschland gezwungen, Snowden an diese auszuliefern, weil er widerrechtlich Daten von dort mitgenommen habe. "Die europäische Rechtsordnung ist darauf nicht vorbereitet. Das ist die bittere Wahrheit."

Greenwald widerspricht dem entschieden und wirft der deutschen Regierung indirekt Feigheit vor. Deutschland habe die rechtliche, moralische und ethische Verpflichtung, Snowden politisches Asyl zu gewähren. Berlin habe von Snowdens Opfer, dem Einsatz seiner Freiheit, profitiert. Die Deutschen hätten erst durch ihn erfahren, dass sie Ziel von Massenüberwachung sind, die Behörden, wie verwundbar ihre Kommunikation ist, die Kanzlerin, dass sie abgehört wird. Nun drehe man Snowden ,,sehr unwürdig" den Rücken zu, lehne ab, das zu tun, was er für Deutschland getan habe: Ein kleines Risiko einzugehen, um seine politischen Rechte zu schützen. Das sei eine "Schande" und lasse "tief blicken". Da aber ist Vizekanzler Gabriel schon weg - zur Cebit.

Zum Thema:

HintergrundDen Siebenpfeiffer-Preis gibt es seit 1989. Er zeichnet Journalisten aus, die sich "für die freiheitlichen Grundrechte und die demokratischen Grundwerte in herausragender Weise engagieren", ohne auf ihre Karriere Rücksicht zu nehmen. Der Preis ist nach Philipp Jakob Siebenpfeiffer (1789-1845) benannt, dem ersten Landcommissär des ehemaligen Landkreises Homburg. Als seine politischen Reformvorschläge bei Regierung und dem bayerischem König kein Gehör fanden, prangerte er die Defizite in der Presse an.Frühere Preisträger sind unter anderem Günter Wallraff , Peter Scholl-Latour, SZ-Korrespondent Detlef Drewes, Ralph Giordano , Heribert Prantl und die Organisation Reporter ohne Grenzen . red


SZ-Video: Glenn Greenwald - Preisverleihung Siebenpfeiffer-Preis

Botschaft von Edward Snowden zum Siebenpfeiffer-Preis in Homburg

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