Bundesgerichtshof Verstößt die Grundsteuer gegen die Verfassung?

Karlsruhe · Die Karlsruher Richter prüfen, ob eine entscheidende Abgabe dem Grundgesetz entspricht.

 Der Erste Senat beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe (v. l. Andreas Paulus, Michael Eichberger, Vorsitzender Ferdinand Kirchhof und Johannes Masing) eröffnete gestern die Verhandlung zur Grundsteuer.

Der Erste Senat beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe (v. l. Andreas Paulus, Michael Eichberger, Vorsitzender Ferdinand Kirchhof und Johannes Masing) eröffnete gestern die Verhandlung zur Grundsteuer.

Foto: dpa/Uli Deck

() Die Grundsteuer: Im Alltag begegnet sie einem zwar eher selten. Doch sie betrifft jeden, Immobilienbesitzer wie Mieter. Außerdem bringt sie den 11 000 Kommunen rund 14 Milliarden Euro im Jahr. Sie ist damit ihre drittwichtigste Einnahmequelle. Auch deshalb sind die Versuche, sie ernsthaft in Frage zu stellen, bisher gescheitert.

Doch jetzt führt kein Weg mehr daran vorbei: Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe untersucht, ob die Grundsteuer verfassungswidrig ist und reformiert werden muss. Anlass sind Bürger-Klagen und Vorlagen des Bundesfinanzhofes. Seiner Ansicht nach ist die Berechnungsgrundlage so veraltet, dass Werte „fernab realer Maßstäbe willkürlich“ festgesetzt würden. Bund und Länder streiten seit über 22 Jahren über eine Reform – bislang ohne Ergebnis.

Die Grundsteuer wird auf Grundlage des Wertes der Immobilien berechnet. Allerdings sind die Werte zur Berechnung – die sogenannten Einheitswerte – im Westen seit 1964 unverändert und im Osten gar seit 1935. Eigentlich sollen die Einheitswerte alle sechs Jahre in einer Hauptbewertung neu festgestellt werden (Paragraf 21 Bewertungsgesetz). Das ist jedoch nicht geschehen. Daher kann es sein, dass in einer Stadt für ein neues Haus eine vielfach höhere Grundsteuer fällig wird als für ein altes Haus in vergleichbarer Lage und mit vergleichbarer Größe.

Zudem bleiben rasante Wertentwicklungen im Immobilienmarkt unberücksichtigt: Der Bundesfinanzhof hält die Vorschriften über die Einheitsbewertung spätestens ab 2009 für verfassungswidrig. Die Richter sehen einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Grundgesetzes. Nach einem Beschluss zur Vorlage beim Bundesverfassungsgericht vom 22. April 2014 kommt es darauf an, ob es zu Wertverzerrungen innerhalb einer Gemeinde kommt. Die Richter sind überzeugt, dass dies besonders in größeren Städten der Fall ist.

Die Bundesregierung räumt ein, dass Einheitswerte veraltet sind. Verzerrungen würden jedoch durch die Multiplikation mit Steuermesszahlen behoben. Die Größe dieser Zahl hängt davon ab, ob das Grundstück unbebaut ist oder darauf ein Ein- oder Mehrfamilienhaus steht.

Die Verfassungshüter werden aller Voraussicht nach eine Reform der Grundsteuer einfordern. Welches Modell sie dabei bevorzugen und welche Übergangsfristen sie dazu einräumen, blieb gestern offen.

Die Länder verständigten sich 2016 auf ein Modell, wonach unbebaute Grundstücke auf Grundlage des Bodenrichtwerts, also den durchschnittlichen Verkaufspreisen, bemessen werden sollten. Bei bebauten Grundstücken sollte dann zusätzlich noch der Gebäudewert ermittelt werden. Der Nachteil: Die Erhebung der Gebäudewerte auf den bundesweit 35 Millionen Grundstücken ist so aufwendig, dass die Steuerreform bis zu zehn Jahre dauern könnte.

Sollte der Erste Senat zu dem Schluss kommen, dass keine Verfassungswidrigkeit vorliegt, könnte sich der Bundestag ohne Druck an die Reform der Grundsteuer machen. Andernfalls könnte das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber eine Frist setzen, eine verfassungskonforme Regelung zu beschließen – und die bisherige Praxis bis dahin weiterlaufen lassen. Im schlimmsten Fall aus Sicht der Kommunen könnte die Steuer ganz wegfallen. Bis zu einer Entscheidung dürften allerdings noch Monate ins Land gehen.

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