Analyse Europas rechter Rand wird immer stärker

DÜSSELDORF Dass Eu­ro­pa po­li­tisch zu­se­hends aus­ein­an­der­drif­tet, sich ei­ne im­mer tie­fe­re Kluft zwi­schen den öst­li­chen und west­li­chen EU-Staa­ten auf­tut, kann man an Wahl­er­geb­nis­sen fest­ma­chen. Man kann aber auch ein­fach ein Glas Nu­tel­la auf­schrau­ben.

Zu­erst die Wahl­er­geb­nis­se: Nach Un­garn und Po­len dürf­te nun auch in Tsche­chi­en ein vi­ru­len­ter EU-Skep­ti­ker an die Macht kom­men. Der um­strit­te­ne Mil­li­ar­där An­d­rej Ba­bis ge­wann dort am Wo­chen­en­de mit gro­ßem Vor­sprung die Par­la­ments­wahl. Ba­bis, in sei­ner Hei­mat auch als „tsche­chi­scher Do­nald Trump“ be­zeich­net, mach­te gleich klar, dass er bei an­de­ren EU-Staa­ten nun um Un­ter­stüt­zung für sei­ne knall­har­te An­ti-Im­mi­gra­ti­ons­po­li­tik wer­ben will. Mit dem kon­ser­va­ti­ven ös­ter­rei­chi­schen Wahl­sie­ger Se­bas­ti­an Kurz ha­be man in die­ser Fra­ge si­cher ei­nen Ver­bün­de­ten, sag­te Ba­bis. Kurz hat­te mit den Staa­ten der so­ge­nann­ten Vi­segrád-Grup­pe, zu der ne­ben Tsche­chi­en auch Un­garn, Po­len und die Slo­wa­kei ge­hö­ren, auf dem Hö­he­punkt der Flücht­lings­kri­se die Sper­rung der Bal­kan-Rou­te or­ga­ni­siert.

Die nach dem Fall der Mau­er ge­grün­de­te Vi­segrád-Grup­pe blieb jah­re­lang ein eher lo­cke­rer Bund mit be­schränk­tem Ein­fluss. Erst die Flücht­lings­kri­se führ­te bei­na­he über Nacht zu ei­ner en­gen Zu­sam­men­ar­beit, denn in al­len Vi­segrád-Län­dern war die Ab­leh­nung der Auf­nah­me von Flücht­lin­gen über­wäl­ti­gend. Ei­ner tat sich in die­ser Pha­se be­son­ders her­vor: Un­garns Mi­nis­ter­prä­si­dent Vik­tor Orbán. Im Som­mer lei­te­te die EU-Kom­mis­si­on ein Ver­trags­ver­let­zungs­ver­fah­ren ge­gen Un­garn, Po­len und Tsche­chi­en ein. In Po­len, wo die re­gie­ren­de na­tio­nal-kon­ser­va­ti­ve PiS-Par­tei von Ja­roslaw Kac­zyn­ski un­ge­rührt von Kri­tik den Rechts­staat de­mon­tiert, läuft ein weiteres EU-Verfahren. Es kann zwar theo­re­tisch zum Ent­zug des Stimm­rechts Po­lens im Eu­ro­päi­schen Rat füh­ren, doch ist da­für am En­de ein ein­stim­mi­ger EU-Be­schluss not­wen­dig – und Orbán hat be­reits sein Ve­to an­ge­kün­digt.

Im Os­ten ist ei­ne neue po­li­ti­sche Front der Rechts­po­pu­lis­ten ent­stan­den. Ih­re Wort­füh­rer Kac­zyn­ski und Orbán sind sich ei­nig in der Ab­leh­nung ei­ner an­geb­lich zu li­be­ra­len EU, die den Län­dern Mit­tel- und Ost­eu­ro­pas ih­re Wer­te auf­zwin­gen wol­le. Sie sind un­ter den Ost­eu­ro­pä­ern die hef­tigs­ten Ver­fech­ter ei­nes neu­en Na­tio­na­lis­mus, der den Feind in Brüs­sel sieht. Und ger­ne auch in Ber­lin. Macht­gie­ri­ge Po­pu­lis­ten ha­ben in Osteuropa über Jah­re sys­te­ma­tisch ei­ne an­ti­eu­ro­päi­sche Stim­mung ge­schürt, aber es zeigt sich auch, dass man in Brüs­sel, Ber­lin und Pa­ris die Ent­frem­dung vie­ler Ost­eu­ro­pä­er sträf­lich un­ter­schätzt hat.

Was uns zu der Sa­che mit Nu­tel­la bringt: Die Vi­segrád-Staa­ten wer­fen west­li­chen Kon­zer­nen vor, Kun­den in ih­ren Län­dern sys­te­ma­tisch zu be­nach­tei­li­gen. An­geb­lich bie­ten die Her­stel­ler in Ost­eu­ro­pa zweit­klas­si­ge Wa­re zum west­eu­ro­päi­schen Preis an – dar­un­ter auch die po­pu­lä­re Nussnougatcreme. Die EU-Kom­mis­si­on ver­sprach ei­ne Über­prü­fung der Vor­wür­fe. Der hoch­ge­pusch­te Streit mag lä­cher­lich er­schei­nen, aber er zeigt, wie zer­rüt­tet das Ver­trau­en vie­ler Ost­eu­ro­pä­er in die EU ist.

Im Wes­ten wird jetzt der fran­zö­si­sche Prä­si­dent Em­ma­nu­el Ma­cron von ei­ni­gen schon als Ret­ter der EU ge­fei­ert, weil er Vor­schlä­ge für ei­ne Re­form der Uni­on macht. Im Os­ten da­ge­gen hat man vor al­lem Ma­crons schar­fe Kri­tik am un­so­li­da­ri­schen Ver­hal­ten der Vi­segrád-Staa­ten re­gis­triert. Das ge­gen­sei­ti­ge Miss­trau­en hat ein be­denk­li­ches Aus­maß er­reicht. In die­sem Kli­ma könn­te das der­zeit wie­der leb­haft de­bat­tier­te Kon­zept vom Eu­ro­pa der ver­schie­de­nen Ge­schwin­dig­kei­ten die EU end­gül­tig spal­ten. Das wä­re eben­so fa­tal wie ei­ne Mi­ni­mal-EU als Club aus ego­is­ti­schen Na­tio­nal­staa­ten. Ei­nen Weg da­zwi­schen zu fin­den, wird sehr schwie­rig. Aber es ist der ein­zig gang­ba­re, um die Eu­ro­päi­sche Uni­on zu ret­ten.

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