Falschmeldung über Unions-Bruch Wie aus Satire-Tweets Nachrichten werden

BERLIN (dpa) Immer häufiger werden wichtige Informationen von Politikern, Sportlern oder anderen Prominenten über soziale Netzwerke wie Twitter oder Facebook verbreitet. Mitunter sind die Äußerungen so bedeutend, dass die Medien daraus Eilmeldungen machen.

Bestes Beispiel sind die mehrmals täglichen Tweets von US-Präsident Donald Trump, die sogar internationale Krisen einleiten können.

Fälscher versuchen allerdings bisweilen, auf diesem Wege Desinformationen zu verbreiten oder sich einen Spaß zu erlauben. Am Freitag sorgte der Twitter-Account eines Redakteurs des Satiremagazins „Titanic“ (@hrtgn) für Verwirrung bis in die Spitzen der Bundespolitik. Er hatte seinen Account in „hr Tagesgeschehen“ umbenannt. Um 11.56 Uhr setzte er folgenden Tweet vom verifizierten Twitteraccount „hr Tagesgeschehen“ ab: „+++ Breaking – Politbombe platzt in Hessen +++ Seehofer kündigt laut interner Bouffier-Mail Unionsbündnis mit CDU auf +++ Merkel informiert, PK gegen 15 Uhr +++ Details folgen!“

Die Nachricht schien in der aktuellen Stimmungslage der Union nicht aus der Luft gegriffen. Und der neue Name des Accounts erweckte den Eindruck, es handele sich beim Absender der Nachricht um den Hessischen Rundfunk (HR) – sie basiere damit quasi auf der Recherche eines seriösen Mediums. Daraufhin berichteten mehrere Medien, darunter die Nachrichtenagentur Reuters, n-tv, die „Bild“-Zeitung und „Focus online“ mit Hinweis auf die Quelle „Hessischer Rundfunk“, dass CSU-Chef Horst Seehofer das Unionsbündnis mit der CDU aufgekündigt habe. Doch das war falsch.

Es ist seit jeher eine Grundverpflichtung im Journalismus, Informationen nur aus bekannten oder vertrauenswürdigen Quellen zu verwenden. Bei Twitter und auch Facebook soll ein Verifizierungszeichen (weißer Haken auf blauem Grund) sicherstellen, dass der Nutzer echt ist. Prominente Benutzer müssen sich bei den Netzwerken ausweisen und belegen, dass sie den Account betreiben. Doch dieser Haken allein reicht nicht für die Glaubwürdigkeit. Denn mit wenigen Handgriffen kann man auch einem verifizierten Account eine andere Identität verpassen – wie im Fall des Titanic-Redakteurs Moritz Hürtgen.

Ursprünglich stand sein Klarname in der Twitter-Biografie mit den weiteren Angaben, dass er Redakteur bei „Titanic“ sei. Hürtgen änderte dann sein Profilfoto, das Hintergrundbild und seinen Klarnamen. Wenn ein Nutzer den Verifizierungshaken erhalten hat, verliert er diesen nämlich erst, wenn er sein sogenanntes Twitter-Handle (@hrtgn) verändert.

Wer im Netz auf eine unbekannte Quelle stößt, kann in wenigen Schritten prüfen, ob es sich um eine Manipulation handelt. Wenn man in seinem Webbrowser nach dem Twitter-Namen @hrtgn sucht, bekommt man direkt den Nutzernamen Moritz Hürtgen mit Verweis auf das Satiremagazin „Titanic“ angezeigt.

Auch ein Blick auf die früheren Tweets des Accounts führt schnell auf die richtige Spur: Bis zum 14. Juni setzte der Account @hrtgn tausende Tweets ab, in der Regel mit Nonsens-Inhalten. Erst in den letzten Stunden versuchte der Betreiber des Accounts, wie eine Redaktion des HR zu twittern. Auch eine direkte Recherche beim Zielobjekt hilft: Der HR hat keine Redaktion „Tagesgeschehen“.

Fälscher schlagen aber häufig dann in den sozialen Netzwerken zu, wenn die Öffentlichkeit gespannt auf konkrete Entwicklungen wartet. Der „Titanic“-Redakteur hatte bereits zu Jahresbeginn mit einer ähnlichen Aktion bundesweit für Aufsehen gesorgt. Damals lancierte Hürtgen nach Angaben seiner Redaktion einen angeblichen Schriftverkehr zwischen dem Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert und einem Russen namens Juri. „Bild“ stieg drauf ein. Alles Fake.

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