Treffen mit Schulmassaker-Opfern Trump und die Tränen der Anderen

Washington · Krisen-PR geht anders: Beim Treffen mit Schulmassaker-Opfern denkt der US-Präsident laut über bewaffnete Lehrer nach. Keine gute Idee.

 Lehrer an Schulen bewaffnen? Donald Trump zeigte sich im Gespräch mit Schülern der Parkland High School offen für eine solche Gesetzesänderung. Die Jugendlichen, traumatisiert vom Massaker vor einer Woche, forderten jedoch weniger frei verkäufliche Waffen in den USA.

Lehrer an Schulen bewaffnen? Donald Trump zeigte sich im Gespräch mit Schülern der Parkland High School offen für eine solche Gesetzesänderung. Die Jugendlichen, traumatisiert vom Massaker vor einer Woche, forderten jedoch weniger frei verkäufliche Waffen in den USA.

Foto: dpa/Carolyn Kaster

Donald Trump hält einen Spickzettel in der Hand. Man kann sehen, was darauf steht. Alle können es sehen. Denn Fotografen nehmen ihn auf, das Fernsehen überträgt die Stichpunkte live. „I hear you“ („Ich höre euch“) steht ganz unten auf dem Zettel. Offenbar eine Gedächtnisstütze.

Der Präsident, der es nach vorangegangenen Tragödien bisweilen an Empathie fehlen ließ, soll zu keiner Zeit vergessen, worum es geht beim Treffen am Mittwochabend im Weißen Haus mit Müttern, Vätern, Geschwistern und Freunden von Schulmassaker-Opfern. Ihnen soll er zuhören, Mitgefühl zeigen und die Betroffenen reden lassen. Die Stimmung im Land, eine Woche nach dem Blutbad an der Marjory Stoneman Douglas High School in Parkland mit 17 Todesopfern, ist aufgeheizt.

Trump scheint dann auch sichtlich bewegt, als Andrew Pollack ein Mikrofon in die Hand nimmt und mit immer lauter werdender Stimme schildert, wie er sich fühlt nach dem Tod seiner 18-jährigen Tochter Meadow in Parkland. Schon nach der allerersten Schießerei an einer Schule hätte man das Problem in den Griff kriegen müssen, sagt Pollack. „Und ich bin stinksauer. Denn meine Tochter, die werde ich nicht wiedersehen. Auf dem King-David-Friedhof, dort kann ich mein Kind jetzt sehen.“ Meadow Pollack wurde mit neun Kugeln getötet.

Leidensgeschichte folgt auf Leidensgeschichte. Nur beschränkt sich Trump nicht aufs Zuhören. Er markiert den Entschlossenen. Zu viele Zwischenfälle, zu viel Gerede, jetzt werde gehandelt, sagt Trump – und macht einen Katalog an Vorschlägen. Diese entpuppen sich jedoch allesamt als Empfehlungen, wie sie die Waffenlobby seit dem Massenmord an der Sandy-Hook-Grundschule im Dezember 2012 immer wieder in die Debatte wirft. Wären zumindest einige Lehrer der Parkland-Schule bewaffnet gewesen, womöglich verdeckt, hätte man heute vielleicht weniger Tote zu beklagen, suggeriert der Präsident.

Um seinen Ansatz zu illustrieren, spricht er von Aaron Feis, dem Football-Trainer, der nach Augenzeugenberichten auf den Amokläufer zu sprintete, sich mit massigem Körper vor seine Schüler warf und dabei tödlich getroffen wurde. Dieser Coach, sagt Trump, habe sich unglaublich tapfer verhalten. „Doch hätte er eine Waffe zur Hand gehabt, hätte er nicht rennen müssen. Er hätte geschossen, und das wäre das Ende gewesen.“ Eine Schusswaffenattacke, argumentiert er, dauere im Durchschnitt drei Minuten. Bis die Polizei am Tatort eintreffe, vergingen indes fünf bis acht Minuten, da sei es in aller Regel vorbei. Wenn nun Schulen schusswaffenfreie Zonen blieben, bedeute dies aus der Sicht dieser „Wahnsinnigen“ und „Feiglinge“: „Lasst uns angreifen, denn es fliegen keine Kugeln zurück.“ Es gibt etwas Applaus. Wer die Bewaffnung ausgesuchter Pädagogen für richtig halte, fragt der Präsident schließlich in die Runde. Einige Arme gehen hoch, andere bleiben unten. Es gibt sogar Vorschläge aus dem Publikum, Waffen in Schulsafes zu hinterlegen, die von Lehrern bei einem Überfall benutzt werden können, damit man keine wertvollen Minuten beim Warten auf die Polizei verliere. Trump zumindest zeigt sich offen dafür.

Ashley Kurth, eine Lehrerin der überfallenen High School, gibt später eine Antwort darauf, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen lässt. Auf dem Höhepunkt der Panik hat sie 65 Teenager in ein Klassenzimmer gelotst, die Tür verrammelt und das Licht ausgeschaltet. Als sie bei einem von CNN organisierten Bürgerforum vorgestellt wird, feiert das Publikum die untersetzte Frau mit stehenden Ovationen. Sie habe Trump gewählt, sie sei Republikanerin, sie unterstütze den zweiten Verfassungszusatz, der privaten Waffenbesitz garantiere, skizziert Kurth, wo sie politisch steht. Aber Lehrer Pistolen tragen zu lassen? Ob sie in Zukunft nicht nur unterrichten, sondern auch noch eine Spezialausbildung durchlaufen müsse, um Schüler zu beschützen, will sie wissen. „Soll ich etwa eine kugelsichere Weste tragen? Soll ich mir etwa eine Kanone ans Bein binden oder in meine Schreibtisch-Schublade legen?“

Folgt man aktuellen Umfragen, dann zählt Kurth in der eigenen Partei mit ihrer Skepsis zur Minderheit. Laut ABC News und „Washington Post“ glauben 59 Prozent der Republikaner, bewaffnete Lehrer hätten das Massaker in Parkland verhindern können. Demokraten dagegen beantworten die Frage zu 73 Prozent mit Nein, ein weiteres Indiz für die tiefen Gräben, die sich quer durch die politische Landschaft ziehen.

Trumps Vorschlag gehe von völlig unrealistischen Szenarien aus, warnt auch Randi Weingarten, die Vorsitzende der amerikanischen Lehrer-Vereinigung. Denn von den Pädagogen erwarte man eine Geistesgegenwart, zu der die meisten Menschen mitten im Chaos einfach nicht fähig seien. In einer solchen Situation den eigenen Revolver zu finden, mit ruhiger Hand anzulegen und mit der Treffsicherheit eines Scharfschützen zu treffen – das funktioniere vielleicht im Film, aber nicht im realen Leben.

 Die Welt Trumps auf einem Bild: Ein Zettel erinnert ihn ans Zuhören (“I hear you“) – und eine Hemdstickerei den Rest der Welt daran, dass er der 45. US-Präsident ist.

Die Welt Trumps auf einem Bild: Ein Zettel erinnert ihn ans Zuhören (“I hear you“) – und eine Hemdstickerei den Rest der Welt daran, dass er der 45. US-Präsident ist.

Foto: dpa/Carolyn Kaster

Zu akademisch braucht man nicht zu werden, um Trumps Vorschläge zu kritisieren. Das zeigt der emotionale Appell des 15-jährigen Samuel Zeif, einer der Parkland-Überlebenden der Weißen-Haus-Runde. „Mein bester Freund ist tot. Ich könnte aber immer noch einen Laden betreten und eine Waffe wie die AR-15 kaufen? Wie kann das sein? Nach Columbine? Nach Sandy Hook? Wie kann das sein? Bitte – so etwas darf nie mehr geschehen. Bitte, bitte!“ Die Stimme des Schülers bricht, es schüttelt ihn vor Weinen. Doch sein Flehen erhört Trump offensichtlich nicht.

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