Töten für den Traum vom großen Geld

Dortmund · Es ist ein Stoff wie im Thriller: Ein junger Mann zündet drei Sprengsätze am Mannschaftsbus von Borussia Dortmund, um bei Aktienspekulationen abzukassieren. Die spektakuläre Wende im Fall Dortmund schockiert.

(dpa/SZ) Ob Sergej W. kürzlich einen Roman von Jeffrey Archer gelesen hat, ist nicht bekannt und eher unwahrscheinlich. Doch das monströse Ansinnen, das ihn getrieben haben soll, erinnert erschreckend an die "Clifton-Saga" des britischen Bestseller-Autors. In mittlerweile fünf Bänden erzählt das Historiendrama die intrigengeplagte Geschichte einer britischen Reederfamilie, in der finstere Feinde versuchen, das Unternehmen durch gezielte Aktienbewegungen und den Einsatz von Sprengstoff zum Einsturz zu bringen und selbst zu profitieren - eine spannende Fiktion. In Dortmund war es wohl ähnlich - und real.

Es ist zwar nicht neu, dass Menschen versuchen, Aktienkurse zu manipulieren - durch Gerüchte, Verleumdungen oder bewusst gestreute Fehlinformationen. Ziel ist, bei einem Kurssturz richtig abzukassieren. Aber dass dafür jemand töten will? Börsenmanipulation durch Bombenanschlag? Das ist eine ganz andere - bisher nur fiktionale - Dimension.

Viel wurde gerätselt über die Hintergründe des Attentats auf den Mannschaftsbus des Fußball-Bundesligisten Borussia Dortmund: Waren es Islamisten? Linksextreme, militante Fans oder Rechte? Doch was nun herauskommt, überrascht maximal. Demnach ging es - wie im Roman - um Geld und Gier.

Es war am Dienstagabend vor einer Woche, als direkt neben dem BVB-Bus drei Sprengsätze in die Luft gingen. Das Team war auf dem Weg vom Hotel zum Champions-League-Spiel gegen den AS Monaco, als die Bomben - versteckt in einer Hecke - detonierten. Metallsplitter flogen umher, Scheiben wurden eingedrückt. Der BVB-Spieler Marc Bartra wurde an der Hand verletzt, die Teamkollegen blieben unversehrt - zumindest körperlich.

Drei textgleiche Bekennerschreiben, die Ermittler am Tatort fanden, deuteten erst in Richtung der islamistischen Szene. Doch die Sprache, die Symbolik, der Inhalt - all das wollte nicht recht ins Schema passen. Später tauchten noch zwei weitere Bekennerschreiben auf - eines mit linksextremen, das andere mit rechtsex- tremen Botschaften. Doch auch hier zweifelten die Ermittler.

Am frühen Freitagmorgen dann die Wende: Spezial-Einsatzkräfte nahmen im Raum Tübingen Sergej W. fest. 28 Jahre, ein junger Mann mit deutschem und russischem Pass. Er soll hinter dem Attentat stecken. Und das, was die Ermittler bislang zusammengetragen haben, klingt eben fast nach Roman-Vorlage oder Film.

Sergej W. nahm demnach Anfang April einen Kredit in Höhe von mehreren Zehntausend Euro auf, um mit dem Geld ein paar Tage später 15 000 "Put-Optionen" auf die BVB-Aktie zu kaufen. Käufer solcher Optionen spekulieren auf fallende Kurse. Das System: Sergej W. sicherte sich die Möglichkeit, bis Mitte Juni 15 000 BVB-Aktien zu einem festgelegten Preis zu verkaufen. Der Gewinn hängt dabei vom Kursverlust ab. Und beim Kurssturz wollte der junge Mann den Ermittlern zufolge nachhelfen. Der düstere Gedanke dabei: Wenn Spieler schwer verletzt oder sogar getötet worden wären, hätte das die Aktie des Fußballvereins wohl in den Keller fallen lassen.

Der junge Mann mietete sich schon zwei Tage vor dem Attentat in das Mannschaftshotel des BVB ein: Er wählte ein Zimmer im Dachgeschoss, mit Blick auf den späteren Anschlagsort. Von dort hätte er wohl die Möglichkeit gehabt, die Bomben per Fernzündung hochgehen zu lassen. Laut "Bild"-Zeitung fiel der Mann den Hotelangestellten nicht nur wegen seiner expliziten Zimmerwünsche auf, sondern auch mit seinem Verhalten am Tag des Anschlags: Während alle anderen Gäste nach der Explosion aufgeregt durch das Hotel gelaufen seien, habe er ganz ruhig im Restaurant gesessen und Steak bestellt.

Der Verdächtige hatte vorsorglich auch für eine Woche später noch ein Zimmer in dem Hotel reserviert - für den Termin einer weiteren Partie zwischen dem BVB und dem AS Monaco. Sehr viel ist noch nicht bekannt über diesen Sergej W. Eines allerdings sagen die Ermittler schon: Er hat große elektrotechnische Kenntnisse. Offenbar war er Elek triker in einem Tübinger Heizwerk.

Das könnte zu den Sprengsätzen passen: Sie waren professionell gebaut, wurden laut Bundesanwaltschaft auch "zeitlich optimal gezündet". Doch eine der Bomben war einen Meter über dem Boden angebracht - zu hoch, um den Bus mit voller Wucht zu treffen. Der mörderische Plan ging deswegen nicht auf. Ermittler kamen Sergej W. über die Optionsgeschäfte auf die Spur. Über mehrere Tage beobachteten sie ihn. Am Freitag folgte dann der Zugriff, später erging Haftbefehl. Sergej W. soll nach einem Medienbericht gleich nach der Festnahme ein Geständnis abgelegt haben. "Ich bin es, ihr habt den Richtigen", habe er gesagt, als ihn ein sechsköpfiges Team der Anti-Terroreinheit GSG 9 auf dem Weg zu seiner Arbeitsstelle verhaftet habe, berichtet "Focus Online" unter Berufung auf Sicherheitskreise.

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