Brexit Die letzte Überlebende

London · Theresa May hat harte Tage hinter sich, doch es kam nicht zum befürchteten Misstrauensvotum. Am Sonntag verteidigt sie beim Brexit-Gipfel den finalen Austritts-Deal.

 Vorerst bleibt sie die Hausherrin in Downing Street Nr. 10: Unbeirrt, fast stoisch verteidigt Großbritanniens Premierministerin Theresa May ihren mit der EU ausgehandelten Brexit-Deal. Dieser soll sowohl Anhänger des Austritts als auch EU-Freunde zufriedenstellen.

Vorerst bleibt sie die Hausherrin in Downing Street Nr. 10: Unbeirrt, fast stoisch verteidigt Großbritanniens Premierministerin Theresa May ihren mit der EU ausgehandelten Brexit-Deal. Dieser soll sowohl Anhänger des Austritts als auch EU-Freunde zufriedenstellen.

Foto: dpa/Jack Taylor

Das derzeitige Drama um die britische Premierministerin weckt auf der Insel Erinnerungen. Im Jahr 1990 hatte schon einmal eine Regierungschefin um ihr politisches Überleben gekämpft, weil der Streit um Großbritanniens Mitgliedschaft in der EU eskaliert war. Die innerparteiliche Machtprobe ging zugunsten der europaskeptischen, konservativen Meuterer aus. Im November 1990 verkündete Margaret Thatcher, die Eiserne Lady, ihren Rücktritt.

Wiederholt sich die Geschichte? Bislang hält Theresa May beharrlich durch. Während die Brexit-Hardliner in den Reihen der Tories mit einem Misstrauensvotum drohen und die Europa-Freunde ihrerseits einen Aufstand planen, während es im Kabinett zugeht wie im Taubenschlag und die Presse verbal auf sie einprügelt, verteidigt die Regierungschefin unbeirrt und fast stoisch das von London und Brüssel ausgehandelte Austrittsabkommen. Es handele sich um „den richtigen Deal für das Königreich“, sagte die 62-Jährige, die bei der Volksabstimmung 2016 zwar für den EU-Verbleib votierte, aber seitdem vor allem die europa­skeptischen Hinterbänkler zufriedenzustellen versucht. Ein bisschen erinnert das alles an die Politthriller-Serie „House of Cards“.

Wie viele politische Nachrufe wurden schon auf jene Frau geschrieben, die wahlweise als „schlechteste Regierungschefin aller Zeiten“ oder als „Terminator“ beschrieben wird, weil sie auch die schlimmsten Krisen übersteht? Insbesondere der Verlust der absoluten Mehrheit nach der von ihr ausgerufenen Neuwahl 2017 sitzt tief. Ungelenk, zaudernd und verkrampft – May patzte damals und präsentierte sich als roboterhafte Wahlkämpferin. Trotzdem blieb sie in der Downing Street. Die Premierministerin als „the last woman standing“, als letzte Überlebende im Polit-Theater, das mit dem EU-Referendum begonnen hat. Diesen Umstand verdankt sie zum einen dem Mangel an Alternativen, auf die sich die in der Europa-Frage tief gespaltene konservative Partei einigen könnte. Keiner drängt darauf, das Bre­xit-Chaos zu übernehmen und die komplexe Scheidung von der Gemeinschaft zu einem Ende zu bringen. Zum anderen aber liegt es am Durchhaltevermögen, manche nennen es auch Sturheit, von May, die schon zu Schulzeiten das Ziel hatte, eines Tages die erste Premierministerin des Königreichs zu werden. Den Titel übernahm bekanntermaßen Thatcher. May ist die zweite Frau an der Spitze. Und wie ihr Vorbild präsentiert sich die Frau mit der Vorliebe für auffällige Designerschuhe und Halsketten in vielen Punkten als unnachgiebig. Doch anders als Thatcher forderte May schon früh einen neuen Konservatismus, der sich sozialer präsentiert.

Viel häufiger wurde die Premierministerin in der Vergangenheit mit Kanzlerin Angela Merkel verglichen. Beide Pastorentöchter und kinderlos fallen sie durch Fleiß, ein hohes Arbeitsethos und ihre Willensstärke auf. Zudem konzentrieren sich die Pragmatikerinnen lieber auf die Sache, als dass sie den großen Auftritt suchen. In Westminster, wo alte Seilschaften aus Eliteschul-Zeiten viel gelten und Entscheidungen gerne im Pub getroffen werden, heißt es, die Politikerin habe keine wirklichen Freunde. Den Menschen May sehen die Briten nur selten durchschimmern. So liebt sie das Wandern, sammelt Kochbücher und ist seit 38 Jahren mit ihrer Jugendliebe Philip, einem Banker, verheiratet, nachdem sich das Paar in Oxford während des Studiums kennengelernt hat. Heute leben die beiden in Sonning in ihrem Wahlkreis Maidenhead, eine gute Autostunde von London entfernt. Als sie in der vergangenen Woche nach einer fünfstündigen Kabinettssitzung zum Brexit-Deal erschöpft nach Hause kam, reichte Philip ihr erst einmal ein „dringend benötigtes“ großes Glas Whisky. Er sei ihr „Fels“, sagt May, die dafür berüchtigt ist, lediglich ihrem engsten Mitarbeiterstab zu trauen. Auch deshalb versucht sie, so heißt es in Westminster, alles und jeden zu kontrollieren – zum Leidwesen vieler Parteikollegen. Die Verhandlungen mit der EU etwa habe sie schon früh und zu sehr an sich gerissen, was nach eigenem Bekunden zu den Rücktritten von zwei Brexit-Ministern geführt hat.

Den Mangel an Charisma versuchte May stets durch ihre resolute Art und Detailgenauigkeit auszugleichen. Sechs Jahre lang besetzte sie den Posten der Innenministerin, der in Großbritannien für gewöhnlich als klassischer Schleudersitz herhalten muss. Doch die Konservative zeigte sich zäh, hat sich nicht nur mit der Polizei und Parteikollegen angelegt, sondern profilierte sich vor allem in der Einwanderungspolitik als Verfechterin einer harten Linie. Berüchtigt ist die Kampagne ihres Ministeriums, die das Ziel hatte, illegale Einwanderer zum freiwilligen Verlassen des Landes zu bewegen. Auf Vans war zu lesen: „Geht nach Hause oder werdet verhaftet.“ May bleibt sich treu und versprach diese Woche mit harschen Worten, künftig könnten sich EU-Bürger nicht mehr „in der Schlange vordrängen vor Ingenieuren aus Sydney oder Software-Entwicklern aus Delhi“.

Theresa May hat versucht, die unmögliche Aufgabe zu schaffen, einen Kompromiss mit der Europäischen Union zu finden, der sowohl die Brexit-Anhänger, als auch die EU-Freunde im Vereinigten Königreich zufriedenstellt. Bislang sieht es nicht danach aus, als ob ihr das gelungen ist. Doch wieder einmal fehlt es an Alternativen für ihren dargebotenen Deal. Es könnte der Premierministerin abermals das politische Überleben sichern.

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