Rechter Terror Chemnitz und der braune Sumpf

Chemnitz/Berlin · Die Festnahme mutmaßlicher Rechtsterroristen bringt die sächsische Stadt erneut in Verruf. Offenbar wollte die „Revolution Chemnitz“ am Tag der Deutschen Einheit in Aktion treten – wie genau, ist unklar.

 Polizisten bringen einen mutmaßlichen Rechtsterroristen zum Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof in Karlsruhe. Der Tatverdächtige soll Mitglied einer Vereinigung namens „Revolution Chemnitz“ sein, die womöglich Gewalttaten gegen Ausländer und politisch Andersdenkende plante.

Polizisten bringen einen mutmaßlichen Rechtsterroristen zum Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof in Karlsruhe. Der Tatverdächtige soll Mitglied einer Vereinigung namens „Revolution Chemnitz“ sein, die womöglich Gewalttaten gegen Ausländer und politisch Andersdenkende plante.

Foto: dpa/Christoph Schmidt

Chemnitz will den Tag der Deutschen Einheit mit einem „Fest für Toleranz und Demokratie“ begehen. Doch während die lokale Wirtschaftsförderung gemeinsam mit Vereinen aus der Kultur- und Jugendarbeit Stände und ein Bühnenprogramm organisiert, bereitet sich in der Stadt auch eine Gruppe von Rechtsextremisten auf den Tag vor. Was die Männer aus der örtlichen Hooligan- und Neonazi-Szene für den 3. Oktober genau planten, ist noch nicht bekannt. Fest steht nur: Im September haben sie sich laut Generalbundesanwalt zur Terrorgruppe „Revolution Chemnitz“ zusammengeschlossen. Gewalt spielt in ihrem Szenario eine Rolle. Am Tag der Einheit sollte ein Zeichen gesetzt werden.

Zumindest einige der Gruppenmitglieder waren den Sicherheitsbehörden vorher schon als Rechtsextremisten bekannt. Bei einem von ihnen, einem 30-Jährigen, soll es sich nach Recherchen der „Süddeutschen Zeitung“ um ein ehemaliges Mitglied der 2007 verbotenen gewalttätigen Neonazi-Gruppe „Sturm 34“ handeln, die im sächsischen Mittweida ihr Unwesen trieb.

„Chemnitz ist schon seit der Wiedervereinigung ein Sammelbecken der rechtsextremen Szene, auch wenn die Mehrheit der Bewohner der Stadt keine rechte Gesinnung hat“, sagt der Politikwissenschaftler und Rechtsextremismus-Forscher Hajo Funke aus Berlin. Das NSU-Terrortrio lebte von 1998 bis 2000 in der sächsischen Stadt. 2014 verbot der damalige sächsische Innenminister Markus Ulbig (CDU) die Gruppe „Nationale Sozialisten Chemnitz“ (NSC). Das Oberverwaltungsgericht in Bautzen bestätigte das Verbot zwei Jahre später mit der Begründung, Ziel des Vereins sei die Überwindung der Demokratie mit der „Errichtung eines autoritären Systems in Anknüpfung an die Ideologie der Nationalsozialisten“ gewesen.

Auch die Mitglieder der jetzt aufgeflogenen mutmaßlichen Terrorzelle „Revolution Chemnitz“ sollen – zumindest in ihrer internen Kommunikation – kein Blatt vor den Mund genommen und einen rechten Umsturz geplant haben. Aus abgehörten Telefonaten und Chats soll nach Informationen der „Süddeutschen“ hervorgehen, dass die siebenköpfige Gruppe mehr bewirken wollte als der „Nationalsozialistische Untergrund“ (NSU). „Die wollten ein anderes Land“, zitiert die Zeitung aus Ermittlerkreisen. Die Bundesanwaltschaft erklärt, die Mitglieder sollen Angriffe auf Ausländer und politisch Andersdenkende geplant haben. „Zu den politisch Andersdenkenden zählen die Beschuldigten den Erkenntnissen zufolge auch Vertreter des politischen Parteienspektrums und Angehörige des gesellschaftlichen Establishments.“

Die jüngsten Ereignisse in Chemnitz müssen wie ein Katalysator für die kruden Gewaltfantasien der Rechtsextremen gewirkt haben. In der Nacht zum 26. August starb dort der Deutsch-Kubaner Daniel H. am Rande eines Stadtfestes durch eine Messerattacke. Die Polizei benannte drei Asylbewerber als Tatverdächtige. Empörte Chemnitzer drückten ihre Trauer und Wut über die Bluttat aus. Bei Protestdemonstrationen marschierten auch Rechtsextremisten mit. Einige zeigten den verbotenen Hitlergruß oder griffen Menschen an, bei denen sie eine ausländische Herkunft vermuteten.

Der Tod von Daniel H. ist laut Funke ein Ereignis, das die Szene – durch Verbote von Neonazi-Gruppierungen strukturell geschwächt – wieder zusammenschweißt. Fakt ist, seit dem 26. August kommt Chemnitz nicht zur Ruhe. Für bundesweite Aufregung sorgte ein Video von einer der ersten Demonstrationen. Es zeigt eine Attacke auf ausländisch aussehende Menschen. Dabei sind Rufe zu hören wie „Haut ab! Was ist denn, ihr Kanaken?“ und „Ihr seid nicht willkommen!“. An dem Video entzündete sich eine Debatte über den Begriff „Hetzjagd“, Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen mischte sich in die politische Debatte ein und musste am Ende seinen Posten räumen.

Für den 1. September riefen AfD, das fremdenfeindliche Pegida-Bündnis aus Dresden und die rechtspopulistische Gruppierung „Pro Chemnitz“ zu Demonstrationen in Chemnitz auf. Am Schluss demonstrierten sie gemeinsam, brachten rund 8000 Menschen auf die Straße. Der sächsische Verfassungsschutz teilte dem ARD-Magazin „Report Mainz“ später auf Anfrage mit: „Bei Martin Kohlmann als Chef von ‚Pro Chemnitz’ handelt es sich um einen langjährigen Szeneaktivisten, der dem sächsischen Verfassungsschutz aus rechtsextremistischen Zusammenhängen bekannt ist.“ Im Prozess um die Rechtsterroristen der „Gruppe Freital“ vertrat Kohlmann einen der Angeklagten.

Dann ging es Schlag auf Schlag. Am 12. September wurde ein 41 Jahre alter Tunesier in Chemnitz Opfer einer mutmaßlich ausländerfeindlichen Attacke. Unbekannte schlugen den am Boden liegenden Mann und riefen Zeugen zufolge fremdenfeindliche Parolen. Der Staatsschutz nahm Ermittlungen auf – und prüfte einen Zusammenhang zu einer weiteren Attacke auf einen 20 Jahre alten Afghanen am 1. September.

Nach einer weiteren „Pro Chemnitz“-Demo am 14. September bedrohte und beschimpfte eine selbst ernannte „Bürgerwehr“ Ausländer in der Stadt. Ein Opfer erlitt durch einen Flaschenwurf eine Platzwunde am Kopf. 15 Männer wurden festgenommen. Zu der „Bürgerwehr“-Gruppe gehörten auch fünf der jetzt unter Terrorverdacht stehenden Rechtsextremisten. Der Generalbundesanwalt stuft den Angriff jetzt als „Probelauf“ für die Pläne der Gruppe am Tag der Deutschen Einheit ein.

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