Türkei schickt Panzer nach Syrien

Istanbul · Die Türkei lässt erstmals Panzer zu einer Offensive über die Grenze zu Syrien rollen und greift eine IS-Bastion an. Sie will damit aber wohl auch den Vormarsch der Kurden aufhalten – und erhält Rückendeckung von US-Vizepräsident Joe Biden.

Mehr als fünf Jahre nach Beginn des syrischen Bürgerkriegs haben türkische Truppen erstmals eine Bodenoffensive im Nachbarland eingeläutet. Der mit Panzern und der Hilfe syrischer Rebellen geführte Angriff auf die IS-Bastion Dscharablus begann unmittelbar vor dem Besuch von US-Vizepräsident Joe Biden in Ankara. Nach seinem Treffen mit dem türkischen Regierungschef Binali Yildirim forderte Biden den Rückzug der Kurdenmilizen in Nordsyrien und machte deutlich, dass Washington keinen Kurdenstaat an der türkischen Grenze akzeptieren werde.

Die Einheiten der oppositionellen Freien Syrischen Armee (FSA) drangen ebenfalls von der Türkei aus in Richtung Dscharablus vor. Die US-Streitkräfte unterstützten die Bodenoffensive mit ihrer Luftwaffe und Militärberatern, wie aus US-Regierungskreisen verlautete. Am Nachmittag meldete die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte, die FSA-Kämpfer hätten Dscharablus fast vollständig eingenommen.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan erklärte, der Militäreinsatz sei "gegen Bedrohungen gerichtet", die für die Türkei von Terrororganisationen wie dem Islamischen Staat (IS) oder der syrischen Kurdenmiliz YPG ausgingen. Der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu drohte zugleich auch den Kurden im Norden Syriens. Der syrischen Kurdenpartei PYD und ihren Milizen warf er vor, den Kampf gegen den IS nur als Vorwand zu benutzen, um ein eigenes Herrschaftsgebiet in Syrien aufzubauen. Bei der Offensive "Schutzschild Euphrat" dürfte es der Türkei neben der Bekämpfung des IS vor allem darum gehen, einen weiteren Vormarsch syrischer Kurden zu verhindern. Die PYD ist eng mit der kurdischen Arbeiterpartei PKK verbunden. Die Türkei sieht beide Kräfte als Terrororganisationen an. Sie will unter allen Umständen vermeiden, dass an ihrer Südgrenze ein zusammenhängendes Herrschaftsgebiet der Kurden entsteht. Die Bundesregierung zeigte Verständnis für die Offensive. Wenn die Türkei auch mit militärischen Mitteln gegen IS-Hochburgen vorgehe, handele sie "im Einklang mit den Zielen und Absichten" der Anti-IS-Koalition, hieß es aus dem Auswärtigen Amt.

In den Hintergrund rückte durch die Ereignisse an der türkisch-syrischen Grenze der Streit um die Auslieferung des im US-Exil lebenden Predigers Fethullah Gülen . Die Türkei macht ihn für den Putschversuch am 15. Juli verantwortlich und hat einen Auslieferungsantrag gestellt. Biden erklärte: "Wir haben keinerlei Interesse daran, irgendwen zu beschützen, der einem Verbündeten Schaden zugefügt hat, aber wir müssen die üblichen rechtlichen Voraussetzungen einhalten." Er betonte, dass nur ein Gericht über die Auslieferung Gülens entscheiden könne.

Meinung:

Erdogans Image-Politur

Von SZ-Mitarbeiterin Birgit Cerha

Ankara und Washington ziehen bei der Offensive gegen den IS an einem Strang. Beide haben höchstes Interesse, den IS aus der Grenzregion zu verjagen und zugleich den Kurden den weiteren Vormarsch in dieser Region zu verwehren. Gelingt den von Ankara unterstützten syrischen Rebellen der Einmarsch in Dscharablus, kann die Türkei nicht nur diese Grenzstadt kontrollieren. Sie kann sich auch der Weltgemeinschaft als erster Staat präsentieren, der offiziell Bodentruppen für den Kampf gegen den IS nach Syrien entsandte. Erdogan kann damit international sein Image aufmöbeln. Auf der Strecke drohen die Kurden zu bleiben, diese verlässlichsten und schlagkräftigsten Verbündeten des Westen im Kampf gegen den IS.

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