Militär marschiert nach Tumulten in Brasilia auf

Brasilia · (afp) Massenproteste, Tränengas, Randale im Regierungsviertel: Die wegen Korruptionsvorwürfen massiv unter Druck geratene Regierung von Präsident Michel Temer hat gestern Soldaten zum Schutz vor Demonstranten angefordert. Der an die Zeiten der Militärdiktatur erinnernde Schritt wurde nach der Eskalation eines Massenprotests tags zuvor beschlossen. Einige Demonstranten waren gewaltsam in das Landwirtschaftsministerium in der Hauptstadt Brasilia eingedrungen und hatten randaliert, wie ein Ministeriumssprecher sagte. Sie hatten ein Feuer gelegt, Fotos früherer Minister verbrannt und sich Auseinandersetzungen mit der Polizei geliefert. Auch andere Ministerien wurden laut Regierung mit Steinen und Stöcken angegriffen. Wie Verteidigungsminister Raul Jungmann erklärte, wurden danach die Soldaten zum Außenministerium und zu allen weiteren Ministerien in Brasilia geschickt. Noch am Abend hob Temer den Einsatz auf, weil die Ausschreitungen in Brasília beendet worden seien.

Der Einsatz der Armee ist heikel in einem Land, das von 1964 bis 1985 unter der Militärdiktatur lebte. Zuletzt kamen Soldaten in schwierigen Sicherheitslagen oder bei Großereignissen wie den Olympischen Spielen zum Einsatz. "Das ist eine extreme Maßnahme der Regierung Temer und ein klares Signal, dass die Regierung die Kontrolle verloren hat, mit sehr schlechten Folgen für unsere Demokratie", sagte der Analyst des Consulting-Büros Hold, André Cesar, in Brasília.

Die Demonstration, die von Gewerkschaften und linken Gruppen organisiert worden war, verlief zunächst friedlich. Laut Behörden nahmen 35 000 Menschen teil, die Veranstalter sprachen von 100 000, die mit dem Ruf "Temer weg" durch die Stadt zogen. Als der Protestzug das Regierungsviertel erreichte, kam es jedoch zu Zusammenstößen mit den Sicherheitskräften. Die Polizei setzte Tränengas und Blendgranaten ein. Einige teils vermummte Demonstranten reagierten mit Steinwürfen. Es gab mehrere Verletzte. Die Demonstranten verlangten den Rücktritt des korruptionsverdächtigen Staatschefs, Neuwahlen und das Ende der von Temer verordneten Sparpolitik. Diese sieht vor, öffentliche Ausgaben für die Dauer von 20 Jahren einzufrieren, ein späteres Renteneintrittsalter einzuführen und die Arbeitsgesetze im Sinne der Unternehmer zu lockern. Temer lehnt einen Rücktritt bisher trotz der massiven Korruptionsvorwürfe ab. In einem heimlich mitgeschnittenen Gespräch soll er Schweigegeldzahlungen an den inhaftierten ehemaligen Parlamentspräsidenten Eduardo Cunha zugestimmt haben.

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