„Eine bodenlose Unverschämtheit“

Berlin · In der CDU wächst die Unruhe über Merkels Entscheidungsprozess. Tritt sie im kommenden Jahr noch einmal an? Führende Parteifreunde plädieren jetzt öffentlich für eine neuerliche Kandidatur der 62-Jährigen.

Viereinhalb Minuten lang rechnete CDU-Generalsekretär Peter Tauber gestern vor der Presse mit dem SPD-Chef ab. Sigmar Gabriels Vorwurf an die Union, in der Flüchtlingskrise zögerlich gewesen zu sein, sei "eine bodenlose Unverschämtheit". Der Vizekanzler selbst lege in vielen Fragen einen "Eiertanz" hin, "der keine Augenweide, sondern nur schwer erträglich ist". Ein Ablenkungsmanöver?

Gabriels Äußerung zum Scheitern von TTIP und seine Attacken gegen die Union in einem Fernsehinterview sorgten bei der CDU-Präsidiumssitzung für Gesprächsstoff. Deswegen ging Tauber zum Gegenangriff über. Freilich konnte er nicht verhindern, dass auch ein anderes Thema des Wochenendes im Konrad-Adenauer-Haus zur Sprache kam: die K-Frage.

Wann wird Angela Merkel verkünden, ob sie noch einmal antritt? Lässt sie sich Zeit bis zum Frühjahr? Merkel selbst hat einmal mit Blick auf die SPD gesagt, es sei ein Fehler, wenn man Vorsitz und Kanzlerschaft trenne. "Eine formelle Verknüpfung gibt es nicht", räumte Tauber ein. Aber alle Beobachter sollten selbst beurteilen, "ob es eine gewisse Sinnhaftigkeit in einer Verknüpfung geben mag". Intern rechnet man bei der Union fest damit, dass Merkel es noch einmal macht. Die Diskussion zum jetzigen Zeitpunkt sei eine "Scheindebatte", sagte die stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner zur SZ. "Sie ist die Bundeskanzlerin, sie regiert und bis zur Wahl ist noch ein Jahr hin." Zähle man "eins und eins zusammen", laufe es selbstverständlich auf Merkel hinaus.

Andere führende Unionspolitiker machten sich ebenso dafür stark, dass Merkel wieder antritt. Darunter Saar-Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer und Vize-Parteichef Armin Laschet .

Ein Nachfolger ist ohnehin weit und breit nicht in Sicht. Außerdem wird aus den Gremien berichtet, dass die Kanzlerin alles andere als amtsmüde wirkt. Gleichwohl gibt es noch einige Unbekannte in dem schwarzen K-Spiel. Da wäre die CSU . Ihre Unterstützung benötigt Merkel dringend. Aber wegen des Streits um die Flüchtlingspolitik kann sie sich ihrer zum jetzigen Zeitpunkt nicht sicher sein. Aus Unionskreisen hieß es allerdings, Merkel werde ihre politische Zukunft nicht von der Laune Horst Seehofers abhängig machen. "Was will die CSU denn machen, wenn wir uns festlegen?", meinte ein Präsidiumsmitglied. Außerdem habe auch die Schwesterpartei ein Interesse daran, die Bundestagswahl zu gewinnen. "Das geht nur mit einem gemeinsamen Kandidaten", so ein anderer Spitzenpolitiker.

Dann wäre da aber noch die andauernde Unzufriedenheit mit Merkel in der CDU selbst. Ihre Kritiker sind zuletzt still gewesen, nun planen sie offenbar einen neuen Aufschlag. Nach Informationen unserer Zeitung will der konservative "Berliner Kreis", ein Zusammenschluss frustrierter CDU-Politiker, nach den beiden Landtagswahlen eine kritische Bestandaufnahme von Merkels Politik vornehmen und inhaltliche sowie strategische Forderungen erheben. Das dürfte ungemütlich für die Kanzlerin werden.

Genüsslich wurde die K-Debatte von der SPD beobachtet. Generalsekretärin Katarina Barley sprach von "Auflösungserscheinungen in der Union". Die Vorgänge beim Koalitionspartner seien "hochinteressant". Ob Angela Merkel erneut Kanzlerkandidatin werde, hänge offenbar "von Gnaden Horst Seehofers" ab, so die Genossin. Wie dem auch sei - den Wahlkampf haben beide Lager eindeutig eröffnet.

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