Bund entsorgt, Konzerne zahlen

Berlin · Der Milliarden-Entsorgungspakt zwischen Staat und Atomkonzernen rückt näher. Ein Gesetzentwurf liegt vor. Die Unternehmen zahlen Milliarden – und können die Endlager-Haftung an die Steuerzahler loswerden.

 Dichter Wasserdampf steigt aus dem AKW Grohnde. 2021 wird das Werk abgeschaltet. Foto: Gollnow/dpa

Dichter Wasserdampf steigt aus dem AKW Grohnde. 2021 wird das Werk abgeschaltet. Foto: Gollnow/dpa

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Mehr als fünf Jahre nach dem Beschluss zum Atomausstieg hat die Bundesregierung die Weichen für einen Milliardenpakt zur Entsorgung der atomaren Altlasten gestellt. Das Kabinett brachte gestern einen Gesetzentwurf auf den Weg, um sich mit den Stromkonzernen Vattenfall, Eon, RWE und EnBW über die Finanzierung des Atomausstiegs abschließend zu verständigen. Geplant ist, dass der Staat den Unternehmen die Verantwortung für die Atommüll-Endlagerung abnimmt. Dafür müssen sie über 23 Milliarden Euro an einen Staatsfonds überweisen. Für Stilllegung und Abriss bleiben die Konzerne verantwortlich.

Bundestag und Bundesrat müssen noch zustimmen. Auch die EU-Kommission muss prüfen, ob es sich um Beihilfen handelt. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD ) hofft, dass das Gesetz noch im Winter in Kraft tritt. Geplant ist dies bis Ende Dezember. Die AKW-Betreiber pochen auf einen raschen Vertrag mit dem Staat. Ob sie Klagen wegen des Atomausstiegs fallen lassen, ist offen.

Mit dem Gesetzespaket wird ein Vorschlag einer Expertenkommission umgesetzt. Danach sollen die vier Stromkonzerne ab Januar bis ins Jahr 2022 rund 23,55 Milliarden Euro bar in einen staatlichen Fonds überweisen, der die Zwischen- und Endlagerung von Atommüll in den nächsten Jahrzehnten managen soll. Das Geld stammt aus dem Finanzpolster der Unternehmen und enthält auch einen Risikozuschlag von fast 6,2 Milliarden Euro. Im Gegenzug für den Aufschlag können sich die Energie-Riesen von einer Haftung bis in alle Ewigkeit "freikaufen". Dieses Risiko würde dann beim Steuerzahler liegen. Je später die Konzerne überweisen, desto teurer wird es für sie. Die an den Fonds zu überweisende Summe fällt geringer aus, als nach dem Vorschlag der Kommission fällig wäre. Auch sollen längere Ratenzahlungen bis 2026 möglich sein. Offen ist, ob es beim Zeitplan bleibt.

Für Stilllegung und Rückbau der Kernkraftwerke sowie Verpackung des radioaktiven Abfalls sollen die Unternehmen verantwortlich bleiben. Der Staat würde mit dem Fonds Geld für den Atomausstieg sichern, das bei Konzernpleiten verloren wäre. Das letzte Atomkraftwerk in Deutschland soll 2022 vom Netz gehen. Aktuell sind acht in Betrieb.

Die Rücknahme von Klagen der Konzerne gegen den Staat auf Schadenersatz wegen des Atomausstiegs als Bedingung des Bundes ist nicht Teil des Gesetzes. Dies dürfte in den weiteren Verhandlungen mit den Konzernen eine Rolle spiele. Gabriel zufolge wird sichergestellt, dass die Finanzierung für Stilllegung, Rückbau und Entsorgung langfristig gewährleistet werde, "ohne dass die Kosten einseitig auf die Gesellschaft übertragen werden und ohne die wirtschaftliche Situation der Betreiber zu gefährden". Die Umweltorganisation BUND sieht das anders. Sie spricht von zu großen Zugeständnissen und warnt vor weiteren. Es seien deutliche Korrekturen nötig.

Eon fordert einen raschen Abschluss einer Vereinbarung zwischen Bund und Betreibern. Der Gesetzentwurf werde eingehend geprüft. EnBW will den Gesetzentwurf technisch, bilanziell und juristisch bewerten: "Dauerhafte Rechtssicherheit ist angesichts der Tragweite der angestrebten Neuordnung für uns zwingend." Auch Vattenfall pocht darauf. An seiner Milliarden-Klage gegen den Bund wegen des vorzeitigen Atomausstiegs will er festhalten.

Meinung:

Ein fairer Kompromiss

Von SZ-Redakteur Lothar Warscheid

Der Gesetzesentwurf zum Automausstieg ist ein fairer Kompromiss, auch wenn viele das anders sehen. Wenn Deutschland schon aus der Stromerzeugung mithilfe von Kernkraftwerken aussteigt, muss irgendwann ein Schlussstrich gezogen werden, den beide Seiten vertreten können. Die übereilte Ausstiegs-Entscheidung vor mehr als fünf Jahren mit einem Sofort-Stopp für acht Atom-Meiler kam einer Teil-Enteignung durch die Bundesregierung gleich. Auch das muss in die Waagschale geworfen werden, wenn jetzt den Energiekonzernen vorgehalten wird, sich mit staatlicher Billigung einen schlanken Fuß zu machen. Außerdem muss ein Endlager her. Und die Kosten für dieses Gezerre sind rein politische.

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