Streiks dämpfen die Hoffnung auf das Wirtschaftswunder

Paris · Frankreichs Regierung erhofft sich von der Fußball-EM mehr Schwung für die lahmende Wirtschaft. Doch die seit Wochen andauernden Streiks wegen der Arbeitsrechtsreform drohen die Hoffnungen zu zerstören.

Sportminister Patrick Kanner sagt es immer wieder: "Die EM bedeutet auch wirtschaftliche Entwicklung für Frankreich." Auf gut 1,2 Milliarden Euro werden die Einnahmen für das Land durch das drittwichtigste Sportereignis nach Fußball-WM und Olympischen Spielen geschätzt. Vor allem die erwarteten knapp eine Million Fans aus dem Ausland sollen Geld in die Kassen spülen. Doch wenige Tage vor dem Anpfiff liegt die Reservierungsquote in den zehn Austragungsstätten nur bei rund 60 Prozent. Kein Vergleich zur WM 1998, als die Hotels schon drei Monate vor der Eröffnung fast ausgebucht waren. Schuld daran ist vor allem der Streik gegen die Liberalisierung des Arbeitsrechts, der das Land seit Wochen blockiert.

Nachdem zunächst die Barrikaden vor den Treibstoffdepots brannten, sind es nun die Eisenbahner, die mit der Besetzung von Gleisen den Zugverkehr völlig durcheinander bringen. "Das Bild unseres Landes im Ausland ist beklagenswert", schrieb der Vorsitzende des Hotel- und Gaststättenverbandes GNI, Didier Chenet, Anfang Juni in einem offenen Brief an Wirtschaftsminister Emmanuel Macron. Erstes Opfer dieser Entwicklung sei der Tourismus, der schon seit den Anschlägen im vergangenen Jahr leide. "Ausländer meiden unser Land, Franzosen wagen nicht mehr zu reisen", klagte Chenet.

Auch für die Zeit der EM haben einige Gewerkschaften unter Führung der einst kommunistischen CGT neue Streiks und Protestaktionen angekündigt. Schon am Samstag, einen Tag nach dem Eröffnungsspiel, wollen die Piloten der Fluggesellschaft Air France die Arbeit niederlegen. Bei der Bahn, die der Ausstand täglich 20 Millionen Euro kostet, will zumindest eine Gewerkschaft ihren Protest knallhart fortsetzen. Dazu kommen Streiks bei der Müllabfuhr, so dass in einigen Pariser Stadtteilen die Abfälle liegenbleiben. Für den 14. Juni ist außerdem ein weiterer landesweiter Protesttag geplant.

"Die Bilder der Gewerkschaftsbanner werden mit denen auf dem Rasen abwechseln", sagt die Zeitung "Journal du Dimanche" für die nächsten vier Wochen voraus. Rund 80 Prozent der Franzosen fürchten, dass die Proteste das Wirtschaftswachstum zunichte machen, das immerhin bei 0,6 Prozent im ersten Quartal lag. Erstmals seit fünf Jahren ging im April auch die Zahl der Arbeitslosen den zweiten Monat in Folge zurück. Eine Entwicklung, die vor allem Präsident François Hollande aufmerksam beobachtet, hat der Sozialist doch seine politische Zukunft an eine Trendumkehr auf dem Arbeitsmarkt geknüpft. "Es läuft besser" lautet seit Wochen sein Motto.

Auch die EM soll dazu ihren Teil beitragen. 26 000 Vollzeitstellen sind durch das Sportereignis geschaffen worden - die meisten allerdings nur als Zeitverträge. Sicherheitspersonal gehört ebenso dazu wie Angestellte in der Hotellerie, den Verkehrsbetrieben oder auf dem Bau. Doch der positive Effekt könnte nun durch die Streiks zunichte gemacht werden. "Manchmal habe ich das Gefühl von Vergeudung", sagt Regierungschef Manuel Valls deshalb. Er und CGT-Chef Philippe Martinez liefern sich seit Wochen ein Kräftemessen um das neue Arbeitsrecht, das Betriebsvereinbarungen beispielsweise zur Arbeitszeit vorsieht und so den Einfluss der Gewerkschaften beschneidet. Deshalb wehrt sich der eingefleischte Fußballfan Martinez auch dagegen, die Streiks zu beenden. Der Ball liege im Feld der Regierung, wiederholt er unablässig. Sie müsse das neue Arbeitsgesetz zurückziehen.

Doch seit den Überschwemmungen der vergangenen Woche kippt die Stimmung in der Bevölkerung: nachdem vor drei Wochen noch eine Mehrheit die Gewerkschaftsaktionen unterstützte, lag die Ablehnung am Wochenende bei 54 Prozent. Eine Zahl, die Martinez in letzter Minute doch noch zum Einlenken bewegen könnte.

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