Standardgewehr der Bundeswehr hat Probleme mit der Präzision

Berlin · Lange Zeit wollte die Bundeswehr das Problem nicht wahrhaben. Jetzt scheint klar zu sein: Das Sturmgewehr G36 ist nicht treffsicher. Die Bundeswehr hat insgesamt 176 000 Stück davon gekauft. Was wird nun daraus?

In Oberndorf am Neckar ist man mächtig stolz auf das G36. Die in dem kleinen schwäbischen Ort beheimatete Waffenschmiede Heckler & Koch schwärmt auf ihrer Internetseite in höchsten Tönen von dem Sturmgewehr. Es sei "optimal in der Handhabung, im Gewicht und der Feuerdichte im Nahkampf sowie für ein schnelles, präzises und durchschlagskräftiges Einzelfeuer im Fernkampf", heißt es da. Das Urteil, das Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU ) gestern über das Standardgewehr der Bundeswehr fällte, las sich ganz anders: "Das G36 hat offenbar ein Präzisionsproblem bei hohen Temperaturen, aber auch im heiß geschossenen Zustand."

Generalinspekteur Volker Wieker wurde in einem Schreiben an die Bundeswehr-Kommandeure noch deutlicher. Die Präzisionsprobleme beim G36 seien "signifikant größer" als bei vergleichbaren Waffen. Die Komplikationen könnten auch nicht auf externe Faktoren wie die Munition geschoben werden. Das G36 sei "eindeutig Teil des Problems".

Für dieses Eingeständnis hat die Bundeswehr lange gebraucht, sehr lange. Die ersten Zweifel an der Treffsicherheit gab es bereits vor drei Jahren. Die Rüstungsabteilung des Verteidigungsministeriums wies darauf hin, dass das G36 bei Schnellfeuer nach 150 Schuss Ziele in einer Entfernung von 200 Metern nicht mehr zuverlässig treffen könne. Die Abteilung Streitkräfteführung des Ministeriums war anderer Meinung und stufte das Gewehr weiter als einsatztauglich ein. Die offizielle Stellungnahme des Ministeriums lautete lapidar: "Treffleistungen von Waffen verringern sich bei jeder Waffe bei hoher Schussbelastung."

Es folgten weitere Gutachten und Gegengutachten. Die Zweifel an der Treffsicherheit wurden bekräftigt oder bestritten - je nach Sichtweise. Die Bundeswehr hielt trotzdem an dem Gewehr fest, das sie viele Jahre in den Einsätzen begleitet hat. "Ich würde sie unverändert für eine Waffe halten, die man im Einsatz und in der Vorbereitung zum Einsatz wirkungsvoll nutzen kann", erklärte 2013 der auch heute noch amtierende Befehlshaber des Einsatzführungskommandos, Hans-Werner Fritz.

Dem Haushaltsausschuss des Bundestags und von der Leyen wurde das Hin und Her im Sommer 2014 zu bunt. Die Ministerin brachte Experten der Bundeswehr, des Fraunhofer-Instituts und des Bundesrechnungshofs an einen Tisch, um Klarheit zu schaffen. Noch im April will die Arbeitsgruppe ihren Bericht vorlegen. Doch schon jetzt reichen von der Leyen die Erkenntnisse aus, um damit an die Öffentlichkeit zu gehen. Die neue Rüstungspanne ist eine besonders schwerwiegende. Das G36 gehört zur Grundausstattung jedes Soldaten. Mit den Gewehren hat die Bundeswehr in Afghanistan gegen die Taliban gekämpft. In einem Kampf um Leben und Tod sollte man sich auf seine Waffen verlassen können. Jetzt steht diese Verlässlichkeit massiv infrage.

Für Heckler & Koch bedeutet das Urteil des Ministeriums einen erheblichen Imageverlust. Das Unternehmen gehört zu den weltweit führenden Herstellern von Handfeuerwaffen. Treffsicherheit zählt da zu den zentralen Qualitätsmerkmalen. Und wenn dann einer der wichtigsten Kunden genau an dieser Stelle Probleme feststellt, ist das extrem bitter. Gestern war das Unternehmen für eine Stellungnahme zunächst nicht erreichbar.

Von der Leyen hat so früh reagiert, um Handlungsfähigkeit bei ihrem wichtigsten und schwierigsten Projekt zu beweisen: Aufräumen im Rüstungssektor. Was nun mit den Gewehren passiert, von denen die Bundeswehr in den vergangenen 20 Jahren 176 000 angeschafft hat, ist noch unklar. In den kommenden Tagen will Generalinspekteur Volker Wieker eine Weisung zur eingeschränkten Nutzung der Gewehre im Einsatz ausgeben. Je nachdem, wie der Abschlussbericht ausfällt, könnten sie mittelfristig ganz ausgemustert werden. Womöglich nicht nur bei der Bundeswehr: Das G36 gehört auch bei den Armeen Spaniens, Lettlands und Litauens zum Standard.

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