Schulz bei Lula Die Genossen schicken Schulz hinter brasilianische Gitter

Curitiba · Eine Besuchsmission führt den früheren SPD-Chef zum inhaftierten Präsidentschaftskandidaten Lula – um ihn gegen einen Zweit-Trump zu unterstützen.

Sozialdemokrat Martin Schulz mischt sich vor dem Gefängnis im brasilianischen Curitiba unter die Anhänger von Ex-Präsident Lula.

Sozialdemokrat Martin Schulz mischt sich vor dem Gefängnis im brasilianischen Curitiba unter die Anhänger von Ex-Präsident Lula.

Foto: dpa/Andre Rodrigues

Im Eingang des Gefängnisses hängt eine kleine Messingtafel. Martin Schulz übersieht sie beim Reingehen. An der Pforte zeigt er seinen Pass, geht durch ein Drehkreuz und fährt mit dem Aufzug in den vierten Stock zum wohl bekanntesten Häftling der Welt. Auf der Messingtafel steht, dass das Gebäude der „Superintendência Regional“ im Februar 2007 von Brasiliens damaligem Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva eröffnet worden ist. Nun sitzt Lula ausgerechnet in diesem Gebäude selbst ein.

Am 146. Tag der Haft kommt der bisher bekannteste Besucher aus Europa in das südbrasilianische Curitiba, der frühere SPD-Chef, Kanzlerkandidat und Präsident des Europaparlaments, Martin Schulz. Er nennt Lula einen Freund. Und sieht das Verfahren gegen ihn als höchst zweifelhaft an. Deutsche Diplomaten, die das über 200 Seiten lange Urteil zu zwölf Jahren Haft studiert haben, sehen durchaus Indizien, zudem habe Lula eine mögliche Verantwortung auf seine verstorbene Frau abgeschoben.

Es geht um ein Apartment am Atlantik, das ein Baukonzern für eine Million Dollar modernisierte, angeblich als Geschenk für Hilfen bei Auftragsvergaben – Lula sagt, ihm gehöre die Immobilie gar nicht. Nach der Amtsenthebung von Präsidentin Dilma Rousseff sieht die linke Arbeiterpartei (Partido dos Trabalhadores, PT) hier den nächsten Putsch, dieses Mal einen juristischen. Die Strafe ist in der Tat ungewöhnlich hoch.

Aus der Haft führt Lula einen ungewöhnlichen Wahlkampf. Umfragen sehen ihn bei knapp 40 Prozent für die Präsidentschaftswahl am 7. Oktober. Er will Brasilien nach dem Absturz wieder zu alter Größe führen. In seiner Amtszeit von 2003 bis 2010 sprudelte der Ölpreis, Lula wurde in Davos von den Wirtschaftsgrößen gefeiert, der frühere Schuhputzer begeisterte die Welt mit linker pragmatischer Politik, Millionen Menschen wurden aus der Armut geholt. Das haben ihm viele nicht vergessen – aber das Denkmal Lula ist ziemlich gebröckelt. Denn in seiner Amtszeit entstand auch ein umfassendes Korruptionsnetzwerk.

Bis Mitte September soll eine Entscheidung fallen, ob Lula doch noch antreten darf, man will mit den Besuchen Druck aufbauen. „Brasilien ist das einzige Land in der Welt, wo ein Gefängnis in einer Provinzhauptstadt mehr international hochrangige Besucher sieht als der Präsidentenpalast“, sagt Lulas früherer Außenminister Celso Amorim.

Lula schreibt Schulz ein paar Gedanken auf liniertes Papier – man wolle ihn als Präsidenten verhindern. „Ich zähle auf die Solidarität des deutschen Volkes.“ Zumindest auf die von Schulz und der SPD kann er zählen, auch wenn in dem von Heiko Maas (SPD) geführten Auswärtigen Amt nicht alle glücklich sind über die Überraschungsvisite. Schulz betont: „Keine Macht der Welt kann mich daran hindern, einen Mann zu besuchen, dem ich vertraue und glaube.“ SPD-Chefin Andrea Nahles habe ihn um den Lula-Besuch gebeten – die SPD hat seit Jahrzehnten enge Bindungen zur PT.

Schulz denkt in großen Linien, das sei eine Schicksalswahl: Kippt auch Brasilien, der Gigant in Südamerika, nach rechts? Denn wenn Lula nicht antreten darf, könnte der „Trump Brasiliens“, Jair Bolsonaro, gewinnen. „Bolsonaro ist ein offener rechter Extremist, der mit einer Militärdiktatur liebäugelt“, sagt Schulz.

Nach dem 40-minütigen Besuch geht Schulz rüber zu zwei Handvoll Lula-Anhängern, die Wache im Camp „Lula livre“, Deutsch: „Freiheit für Lula“, halten. Sie nennen den ehemaligen Präsidenten einen brasilianischen Nelson Mandela, einen politischen Gefangenen. Schulz wirkt etwas peinlich berührt. Als er immer wieder „Lula livre“ hört, reimt er darauf: „Cuba libre“.

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