Späte Genugtuung nach menschlichem Drama Ein problematisches Spannungsfeld

Karlsruhe. Obwohl Elke Gloor nicht selbst auf der Anklagebank sitzt, bedeutetet das Urteil des Bundesgerichtshofs zur Sterbehilfe auch für sie einen Freispruch. Die 55-Jährige hatte den Schlauch durchgeschnitten, über den ihre im Koma liegende Mutter mit Nahrung versorgt wurde. Vor Gericht steht am Freitag jedoch Gloors Anwalt, der Medizinrechtler Wolfgang Putz

 Mehr Selbstbestimmung für Patienten: Eine junge Hand hält die Hand eines Sterbenden. Foto: dpa

Mehr Selbstbestimmung für Patienten: Eine junge Hand hält die Hand eines Sterbenden. Foto: dpa

Karlsruhe. Obwohl Elke Gloor nicht selbst auf der Anklagebank sitzt, bedeutetet das Urteil des Bundesgerichtshofs zur Sterbehilfe auch für sie einen Freispruch. Die 55-Jährige hatte den Schlauch durchgeschnitten, über den ihre im Koma liegende Mutter mit Nahrung versorgt wurde. Vor Gericht steht am Freitag jedoch Gloors Anwalt, der Medizinrechtler Wolfgang Putz. Er hatte seiner Mandantin zu dem Schnitt geraten. In erster Instanz hatte ihn das Landgericht Fulda zunächst wegen versuchten Totschlags verurteilt - am Freitag nun hob der BGH das Urteil auf (Az. 2 StR 454/09).

In Karlsruhe findet damit ein menschliches Drama seinen juristischen Abschluss, wie es in Kliniken und Pflegeheimen nicht selten geschieht: Im Jahr 2002 bekommt die damals 71-jährige Mutter von Elke Gloor eine Hirnblutung. Sie fällt ins Koma und kommt nicht mehr zurück. Nur kurze Zeit vorher hatte sie ihrer Tochter gesagt, dass sie in einem solchen Fall weder künstlich beatmet noch künstlich ernährt werden solle. Sie wolle "keine Schläuche", sagte die alte Frau.

Vier Jahre später besteht keine Hoffnung mehr, dass sich ihr Zustand je wieder bessern könnte. Elke Gloor will, dass ihre Mutter in Würde sterben kann. Doch das Pflegeheim in Bad Hersfeld will die künstliche Ernährung nicht beenden. Gloor beauftragt Rechtsanwalt Putz, und nach monatelangem Hin und Her einigt man sich schließlich auf einen Kompromiss: Das Heim übernimmt nur noch die Grundpflege, die Kinder der Frau sollen in eigener Verantwortung die Ernährung beenden.

Doch schon am folgenden Tag untersagt die Geschäftsführung des Heims, "Sterbehilfe" zu leisten. Pflegekräfte hängen wieder einen Beutel mit Flüssigkeit an. Als die Kinder der alten Frau protestieren, reagiert die Heimleitung mit einem Ultimatum: Sie hätten zehn Minuten Zeit, sich mit der künstlichen Ernährung einverstanden zu erklären - andernfalls bekämen sie Hausverbot. Elke Gloor ruft den Anwalt an - und Putz gibt einen folgenschweren Rat: Sie solle den Versorgungsschlauch der Magensonde durchschneiden, und zwar unmittelbar über der Bauchdecke.

Nachdem Pflegerinnen die Tat entdeckt haben, benachrichtigt die Heimleitung die Polizei. Die Koma-Patientin wird in ein Krankenhaus gebracht. Ärzte legen ihr eine neue Magensonde - gegen den Willen der betreuungsberechtigten Kinder. Zwei Wochen später stirbt die Frau dann doch, im Krankenhaus, an Herzversagen.

Das Landgericht Landgericht Fulda verurteilt Putz später wegen versuchten Totschlags zu einer Bewährungsstrafe von neun Monaten.

Gloor wird freigesprochen: Sie habe zwar rechtswidrig gehandelt, jedoch habe sie sich auf den Rat ihres Anwalts verlassen dürfen. "Das war für mich kein richtiger Freispruch", sagt Gloor.

Als die Vorsitzende Richterin Ruth Rissing-van Saan am Freitag den Freispruch für Wolfgang Putz verkündet, ist auch Elke Gloor die Erleichterung anzusehen. Mit teils geschlossen Augen hört sie der Urteilsbegründung zu, zwischendurch wischt sie sich eine Träne aus dem Gesicht. Rissing-van Saan findet klare Worte: Die künstliche Ernährung gegen den Willen der Mutter sei ein "rechtswidriger Angriff auf das Selbstbestimmungsrecht und die körperliche Unversehrtheit". Es sei legitim gewesen, den Schlauch der Magensonde zu kappen: "Ein zulässiger Behandlungsabbruch kann nicht nur durch Unterlassen, sondern auch durch aktives Tun vorgenommen werden."

"Für mich war es immer klar, dass ich richtig gehandelt habe", sagt Elke Gloor nach der Verhandlung. Nun habe alles, was sie und ihre Familie durchmachen mussten, einen Sinn: "Meine Mutter kann leider nicht mehr davon profitieren, aber alle jetzt betroffenen Patienten."Hamburg. Die Sterbehilfe liegt im problematischen Spannungsfeld zwischen gesetzlichem Verbot und Selbstbestimmung, zwischen medizinischer Hilfe und Menschenwürde.

Aktive Sterbehilfe ist in Deutschland strafbar. Wer jemanden auf dessen eigenen Wunsch hin tötet, wird wegen Tötung auf Verlangen mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft. Das Recht grenzt dabei aktives Tun vom bloßen Unterlassen ab.

Passive Sterbehilfe nennt man den Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen. Zulässig ist dies, wenn der Abbruch dem mutmaßlichen oder in einer Patientenverfügung erklärten Willen entspricht. Bei Zweifeln müssen sich die Ärzte für das Leben entscheiden. Patientenverfügungen treffen Menschen für die Fälle, in denen es ihnen nicht mehr möglich ist, Wünsche für eine Behandlung zu äußern. Sie können etwa untersagen, künstliche Ernährung oder Beatmung weiterzuführen.

Indirekte Sterbehilfe ist die Verabreichung starker Schmerzmittel, die durch ihre Wirkung auf geschwächte Organe auch das Leben verkürzen können. Dies ist nicht strafbar, wenn es dem Willen des Patienten entspricht, weil damit ein Tod in Würde ermöglicht wird.

Beihilfe zum Suizid ist nicht strafbar. Damit ist es erlaubt, einem Lebensmüden die tödliche Dosis bereitzustellen. Allerdings wäre ein anwesender Sterbehelfer zur Rettung des Patienten verpflichtet. Er würde sich also wegen unterlassener Hilfeleistung strafbar machen, wenn er keinen Notarzt ruft, sobald der Patient die tödliche Dosis eingenommen hat. ddp

"Ein zulässiger Behandlungs- abbruch kann auch durch aktives Tun vorgenommen werden."

BGH-Richterin

Rissing-van Saan

zur Urteilsbegründung

 Mehr Selbstbestimmung für Patienten: Eine junge Frau hält die Hand eines Sterbenden. Foto: dpa

Mehr Selbstbestimmung für Patienten: Eine junge Frau hält die Hand eines Sterbenden. Foto: dpa

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