Neues Konzept vorgestellt Sozialverband sieht Chancen für Hartz-IV-Reform

Berlin · Von Stefan Vetter und Basil Wegener

Angesichts der aktuellen Debatte über Hartz IV sieht der Paritätische Wohlfahrtsverband neue Chancen für eine Überwindung der Grundsicherung. „Mit Reförmchen ist es nicht getan“, sagte Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider gestern in Berlin. Hartz IV habe „ganz zu Recht“ einen Ruf zwischen Tristesse und Abstrafung. Dass man von Hartz IV nicht leben könne, hat der Verband schon immer gesagt. Aber jetzt, so Schneider, könnte es „Bewegung“ geben. Jüngste Äußerungen von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) stimmten ihn „optimistisch“, erklärte Schneider.

Tatsächlich hatte Heil vor dem Hintergrund der umstrittenen Äußerungen von CDU Gesundheitsminister Jens Spahn, Hartz IV bedeute nicht Armut, sondern sei die Antwort der Solidargemeinschaft auf Armut, eine Neuausrichtung der Grundsicherung ins Gespräch gebracht. Heil zeigte sich offen für Korrekturen sowohl bei der Höhe der Regelsätze als auch bei den Sanktionen im Falle von individuellen Verstößen gegen die Auflagen der Jobcenter. „Das sind ganz neue Töne“, lobte Schneider. Nun brauche es „einen konsequenten Paradigmenwechsel, der mit dem negativen Menschenbild, das dem System Hartz IV zugrunde liegt, bricht“.

Schneider stellte dazu ein umfassendes Konzept vor, das deutlich über die altbekannte Forderung nach höheren Hartz-IV-Leistungen hinausgeht. So soll zum Beispiel auch die beitragsfinanzierte Arbeitslosenversicherung reformiert werden. Konkret wird eine Verlängerung der sogenannten Rahmenfrist von zwei auf drei Jahre verlangt, innerhalb derer eine Beschäftigung von mindestens zwölf Monaten nachgewiesen werden muss, um überhaupt Arbeitslosengeld I zu erhalten. Zudem soll die Zahlung altersabhängig bis zu drei Jahre lang gewährt werden. Derzeit sind es maximal zwei Jahre. Dadurch wären hunderttausende Betroffene „mit einem Schlag“ raus aus Hartz IV, erläuterte Schneider.

Zu den weiteren Punkten gehören die Einführung einer eigenständigen Kindergrundsicherung, ein sozialer Arbeitsmarkt sowie eine Lockerung der Zuverdienstgrenzen für Hartz-IV-Empfänger. Letzteres fordert auch die FDP. Unter Berufung auf eigene Berechnungen hält der Wohlfahrtsverband zugleich eine Aufstockung des Regelsatzes von derzeit 416 auf 571 Euro im Monat für geboten. Die Differenz von immerhin 37 Prozent resultiert unter anderem aus einem deutlich höher veranschlagten Bedarf für persönliche Mobilität und kulturelle Teilhabe. Mehr Hartz IV würde allerdings auch mehr Anspruchsberechtigte bedeuten. Dieses Problem ließe sich jedoch mit einer deutlichen Anhebung des Mindestlohns lösen, meinte Schneider.

Die Arbeitgebervereinigung BDA verteidigte die heutige Grundsicherung. „Um dieses System der Armutsbekämpfung beneidet uns die ganze Welt“, erklärte der Verband. Die Regelsätze seien auskömmlich und würden jährlich angehoben. „Statt Schwarzmalerei und Scheindebatten, die an der Realität meilenweit vorbeigehen, brauchen wir Reformen in der Grundsicherung, um Langzeitarbeitslose schneller in den ersten Arbeitsmarkt zu integrieren.“

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