Saar-Astronaut Matthias Maurer Der Geerdete, der nach den Sternen greift

Saarbrücken/Oberthal · Matthias Maurer soll der erste Saarländer im All werden. Der 47-Jährige hätte daher allen Grund, abzuheben. Aber lieber bleibt er bodenständig.

Geschafft: Esa-Astronaut Matthias Maurer aus Oberthal – im offiziellen Fliegeranzug mit der roten Rakete am Arm – ist derzeit vielerorts ein gefragter Star-Gast. So auch kürzlich an der Saar-Uni (Foto), wo er studierte.

Geschafft: Esa-Astronaut Matthias Maurer aus Oberthal – im offiziellen Fliegeranzug mit der roten Rakete am Arm – ist derzeit vielerorts ein gefragter Star-Gast. So auch kürzlich an der Saar-Uni (Foto), wo er studierte.

Foto: Iris Maria Maurer

Neun Jahre hat Matthias Maurer darauf hingearbeitet, den kobaltblauen Fliegeranzug eines Astronauten tragen zu dürfen. Das hat er nun davon. An einem heißen Sommertag, an dem alle in Saarbrücken so leicht bekleidet wie möglich herumlaufen, steckt Maurer in einem hochgeschlossenen Ganzkörper-Overall, während er 500 Menschen im Audimax der Saar-Uni von seiner Arbeit erzählt. Die Hitze nimmt er aber gerne in Kauf: „Das letzte Mal, als ich in diesem Raum war, habe ich auch geschwitzt – aber da saß ich in einer Prüfung“, erzählt er. „Hier oben auf der Bühne zu stehen, ist deutlich besser.“

Die Bühne ist inzwischen eine vertraute Umgebung für Maurer. Der Mann, der zu den Sternen fliegen soll, ist selbst eine Art Star. Er absolviert Auftritte im Bürgermeisteramt von Nancy und bei der Internationalen Luft- und Raumfahrt­ausstellung bei Paris, spricht auf Einladung der Starkenburg-Sternwarte im Heppenheimer Kurfürstensaal und wird in der saarländischen Staatskanzlei empfangen.

Nach einem Vortrag gibt er Autogramme mit einem Edding in spacigem Silber und posiert für Selfies mit Menschen in Esa- und Nasa-T-Shirts. Eine junge Frau bittet um eine Unterschrift. „Was soll ich schreiben?“, fragt Maurer. „Für Ariane“, antwortet sie. „Wie die Rakete!“ „Nach der bin ich auch benannt. Meine Eltern sind Raumfahrt-Fans.“ Das sei ein super Einstieg für ein Bewerbungsgespräch, gibt Maurer ihr mit auf den Weg.

Weil er Bewerbungstipps gibt und geduldig Fragen beantwortet, wird die Schlange vor seinem Tisch nur langsam kleiner. Ein Autogrammjäger macht seinem Ärger darüber Luft und zieht mit leeren Händen davon. Maurer lässt sich nicht beirren. In Stresssituationen cool bleiben zu können, ist schließlich eine der wichtigsten Eigenschaften eines Astronauten. Derweil drängt ein Pressesprecher zum Aufbruch, der nächste Vortrag steht an – diesmal in einem überfüllten Seminarraum, aus dem Maurer bisweilen auf den Gang flüchtet. Die Hitze, der Anzug.

Den Oberarm dieses Anzugs ziert ein Aufnäher. Er zeigt eine rote Rakete, die von der Erde zum Mond fliegt, einen gewaltigen Feuerschweif hinter sich her ziehend. Sie sieht aus wie aus Tim und Struppis „Reiseziel Mond“. Maurer bereitet sich mit verschiedenen Trainings gerade auf einen Flug ins All vor. Wenn alles nach Plan läuft, ist es in spätestens fünf Jahren so weit. Und wenn er Glück hat, könnte der ihn tatsächlich zum Mond bringen. „Das wäre sehr spannend, weil der Mond sich seit viereinhalb Milliarden Jahren nicht verändert hat. Er ist ein Geschichtsbuch, das uns vielleicht dabei helfen kann, zu erfahren, ob wir allein sind im Universum.“

Mit seinen klaren, scharfgeschnittenen Gesichtszügen und seiner hohen Stirn erinnert Maurer tatsächlich ein wenig an den Abenteurer Tim. Ganz sicher teilt er Tims Reise-Leidenschaft. Schon während des Studiums der Materialwissenschaften an der Saar-Uni begann Maurer eine akademische Odyssee, die ihn nach Leeds, Nancy und Barcelona führte. Praktika in Argentinien und ein Studienaufenthalt in Südkorea kamen hinzu. Später ging es mit dem Rucksack durch Indien und Nepal. „Je mehr man reist, desto mehr lernt man kennen. Und umso mehr man kennenlernt, desto mehr merkt man, was es noch alles zu sehen gibt.“

Inzwischen hat Maurer schon fast die ganze Welt gesehen – aber noch hat er die Welt nicht als Ganzes gesehen. Die Vorfreude darauf ist groß. „Jeder, der aus dem All zurückkommt, sagt, dass dieser Perspektivwechsel, durch den man die Erde als geschlossene Einheit vor sich erblickt, etwas ganz Besonderes ist. Von da oben sieht man keine Grenzen. Da fragt man sich, warum wir uns hier das Leben so schwer machen.“

Maurer mag ein Abenteurer sein, ein Hasardeur ist er nicht. Auf kursierende Angebote angesprochen, eine Mars-Mission ohne Rückfahrtschein einzugehen, wird er richtig ärgerlich. „Zutiefst verwerflich“ findet er die Idee. Niemals würde er sich darauf einlassen. „Ich liebe das Leben und möchte es so lange wie möglich genießen.“ Da passt es, dass das Berufsbild des Astronauten sich seit den Zeiten der Apollo-Programme gewandelt hat. „Früher waren das Space Cowboys, tollkühne Männer in fliegenden Kisten, die den Weltraum erobert haben. So haben sie sich auch selbst gesehen. Heute kommt es dagegen auf Teamwork an.“

Das Fernweh ist offensichtlich groß in Matthias Maurer, es hat ihm einen außerordentlichen Lebensweg beschert. Und wie sieht es mit Heimweh aus? „Ich freue mich auf jeden Moment hier“, versichert Maurer, als er abseits vom Trubel um seine Person für ein paar Urlaubstage zu Gast bei seinen Eltern in Oberthal ist. Egal, was er von der Welt gesehen hat: „Das Saarland ist nicht zu schlagen.“

Dass er irgendwann Astronaut werden könnte, hätte er sich als Kind nicht träumen lassen. Von Oberthal ins Weltall? Das klang zu abwegig. Auch als Maurer sich 2008 bei der Europäischen Weltraumorganisation Esa bewarb, setzte er keine großen Erwartungen in die Sache. Bei 8500 Bewerbern schien schon die Chance gering, die erste Runde zu überstehen. Doch mit jeder genommenen Hürde wuchs die Überzeugung. „Je näher man an das Ziel kommt, desto mehr erwartet man eigentlich: Das klappt, das klappt.“ Maurer schaffte es unter die ersten Zehn, aber nur sechs durften damals ins Trainingsprogramm. Die Esa bot ihm eine Stelle an und setzte ihn auf eine Warteliste. Anfang dieses Jahres wurde er dann endlich offiziell als neuer Astronaut vorgestellt.

Trotz seines großen Erfolgs hat Maurer sich die Fähigkeit zur Selbst­ironie bewahrt. Als Universitätspräsident Manfred Schmitt ihn als „Sprachgenie“ anpreist – Maurer spricht neben seiner Muttersprache noch Englisch, Spanisch, Französisch, Italienisch, er lernt gerade Russisch und Chinesisch –, antwortet der: „Nicht mal Deutsch kann ich richtig.“ Das ist natürlich ein Scherz. Maurer spricht ein tadelloses, druckreifes Hochdeutsch – nur das sanft rollende „R“ seiner nordsaarländischen Heimat, das schon ein Markenzeichen des ehemaligen Ministerpräsidenten Peter Müller war, ist deutlich erkennbar.

Mit Müller hat Maurer noch etwas anderes gemeinsam: Die Wiedervereinigung machte beiden einen Strich durch die ursprüngliche Lebensplanung. Nachdem Maurer das erste Jahr seines Zivildienstes beendet hatte, fiel die Mauer und die letzten Monate wurden ihm erlassen. Eigentlich ein Grund zur Freude, nur waren da schon alle Plätze in seinem Wunschstudienfach Raum- und Luftfahrttechnik belegt. Doch anders als bei Peter Müller, den die Wende immerhin seinen Doktortitel kostete, weil sie das Thema seiner Dissertation (Verfassungsrechtliche Fragen einer zweiten deutschen Staatsangehörigkeit) obsolet machte, bedeutete das für Maurer keinen dauerhaften Verlust. Es führte ihn nur auf einen Umweg. Einen Umweg, der ihn erst ans Ziel brachte. Und wenn er demnächst im Orbit kreist, wird Matthias Maurer das Teleskop vielleicht auch in Richtung Heimat richten. „Den Bostalsee dürfte man von da oben definitiv erkennen.“

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