Sie schlagen und sie küssen sich

Berlin/Saarbrücken · Tauwetter in der Union: Nach Monaten im Krisenmodus rücken die Schwesterparteien Merkels und Seehofers wieder näher aneinander. Vor allem in Sachen Flüchtlingsfrage ändert sich die Tonlage.

Horst Seehofers irritierende Kunst besteht darin, das Verhältnis zwischen seiner CSU und der großen Schwester CDU immer abwechselnd zwischen Entspannung und Spannung zu halten. Bestes Beispiel: Erst am vergangenen Donnerstag drohte er, nach der Wahl im Herbst 2017 nicht wieder in eine Bundesregierung mit Angela Merkel einzutreten, falls es keine Obergrenze für die Zuwanderung gebe. Am Sonntag ließ er dann verkünden, er sehe mit der CDU jetzt "große Schnittmengen".

Eine Woche vor dem CDU-Parteitag in Essen stehen die Zeichen tatsächlich eher auf Entspannung. Freilich soll erst Ende Januar bei einer Klausur beider Vorstände endgültig entschieden werden, ob es für ein gemeinsames Wahlprogramm zur Bundestagswahl reicht. Bis dahin führen Seehofer und Merkel und die beiden Generalsekretäre Peter Tauber (CDU ) und Andreas Scheuer (CSU ) die politischen Beziehungsgespräche. In den vergangenen Wochen gab es einige bemerkenswerte Entwicklungen, die darauf hindeuten, dass sich der Streit auflösen könnte.

Da ist vor allem die Änderung der Tonlage zur Flüchtlingsfrage bei der CDU und auch bei Angela Merkel selbst. Zwar steht die Kanzlerin nach wie vor zur Grenzöffnung im vorigen Jahr, doch wiederholt sie bei den derzeit laufenden Regionalkonferenzen ihrer Partei - die jüngste fand gestern Abend in Heidelberg statt - stets den Satz, dass sich eine solche Situation nicht wiederholen dürfe. Auch ließ sie einen Leitantrag für den Essener Parteitag formulieren, der nicht nur dieses Versprechen enthält, sondern bei der Abschiebung ausreisepflichtiger Flüchtlinge einen deutlich schärferen Kurs ankündigt. Unter anderem mit der Idee, im Mittelmeer Gerettete zurück an die afrikanische Küste zu bringen. Bereits im Oktober hatte die Kanzlerin von einer "nationalen Kraftanstrengung" zur Rückführung gesprochen.

Offenbar mit ihrer Zustimmung hat der stellvertretende CDU-Vorsitzende und Innenminister Baden-Württembergs, Thomas Strobl, nun kurzfristig noch ein Papier zu Abschiebungen formuliert, das sich wie ein konkreter und ziemlich harter Umsetzungsvorschlag für diese Passage des Leitantrags liest. "Wer kein Bleiberecht hat, muss gehen." Das soll sogar für das Kriegsland Afghanistan gelten. Außerdem fordert Strobl ein "Dachgesetz", dass sämtlich Fragen der Zuwanderung regeln soll. Strobl will den sechsseitigen Text, den er heute beim traditionellen Kamingespräch am Rande der Innenministerkonferenz in Saarbrücken mit seinen Länderkollegen erörtert, auf dem Parteitag zur Abstimmung stellen; er dürfte eine Mehrheit bekommen.

Die Frage ist, ob sich Horst Seehofer damit zufrieden gibt. In der CDU hat man mit Interesse registriert, dass der CSU-Chef neuerdings von einer "Obergrenze der Zuwanderung" spricht. Hier, bei der Zuwanderung in den Arbeitsmarkt, könne man tatsächlich eine Obergrenze formulieren, nicht aber bei Flüchtlingen, die ein Recht auf Asyl oder Schutz hätten, heißt es bei den Christdemokraten. Die anderen Streitpunkte zwischen den beiden Schwesterparteien der Union scheinen leichter überbrückbar. Beide wollen den Wählern beispielsweise Steuersenkungen versprechen, nur ist der Umfang noch nicht einvernehmlich. Differenzen gibt es auch bei der Rente; sie betreffen allerdings Detailfragen wie die der Mütterrente.

Dass die Zeichen auf unionsinterne Versöhnung stehen, zeigt auch die Tatsache, dass Seehofer CSU-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt und Generalsekretär Andreas Scheuer nach Essen zum CDU-Parteitag schickt, quasi als Friedensboten. Merkel und er selbst hatten unlängst vereinbart, wegen des Streits vorübergehend auf gegenseitige Parteitagsbesuche zu verzichten.

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