"Selbst rückwärts Einparken ist kein Problem"

Völklingen. Diese Frau ist taff. Und sie weiß, was sie will. Anja Banse hat Benzin im Blut, und es treibt sie eine Vision in einer Männerwelt. Wer sie einmal kennen gelernt hat, der spürt, die blonde Frau mit dem gewinnenden Lachen wird nicht eher locker lassen, bis erlaubt ist, was sie schon lange für sinnvoll hält

 Anja Banse träumt einen ungewöhnlichen Frauentraum: Die Spediteurin will so genannte Gigaliner einsetzen. Fotos: Iris Maurer

Anja Banse träumt einen ungewöhnlichen Frauentraum: Die Spediteurin will so genannte Gigaliner einsetzen. Fotos: Iris Maurer

Völklingen. Diese Frau ist taff. Und sie weiß, was sie will. Anja Banse hat Benzin im Blut, und es treibt sie eine Vision in einer Männerwelt. Wer sie einmal kennen gelernt hat, der spürt, die blonde Frau mit dem gewinnenden Lachen wird nicht eher locker lassen, bis erlaubt ist, was sie schon lange für sinnvoll hält. Die 42-Jährige ist Geschäftsführerin des mittelständischen Speditionsunternehmens Girlinger in Völklingen-Heidstock und versteht sich als Lobbyistin für so genannte Gigaliner. Also deutlich überlange Lastwagen, ähnlich dimensioniert wie die berühmten Trucks in den USA. Bislang sind die 25-Meter-Lindwürmer auf europäischen und damit auch deutschen Straßen weitgehend verboten. Lediglich im geräumigen Schweden ist es bislang erlaubt, einen normalen 40-Tonner-Lkw mit einem Siebeneinhalb-Meter-Anhänger zum Gigaliner zu verlängern. "Das macht Sinn", sagt Anja Banse mit leuchtenden Augen und beginnt, über grüne Logistik und Umweltschutz in der Speditionsbranche zu erzählen. "Bei diesem Thema kursieren fast nur Missverständnisse - und massenhaft Unkenntnis. Das ärgert mich, dagegen werde ich etwas tun." In einer flammenden Rede beschreibt die Tochter von Firmengründer Gerd Girlinger, wie sie und ihre Mitstreiter dafür kämpfen, dass die beeindruckend-dimensionierten Lkw auf ausgewählten Strecken für den so genannten Werk-Werk-Verkehr zugelassen werden. "Viele denken, wir wollten Gigaliner durch Innenstädte rollen lassen. Das ist Quatsch, das würde nie funktionieren, und das wollen wir auch nicht", sagt Anja Banse und unterstreicht ihre Worte mit ausholenden Gesten. "Wir zum Beispiel fahren vergleichsweise leichte Teile wie Autotüren für Ford von Saarlouis nach Köln und von Saarlouis ins spanische Valencia. Unsere Wagen sind deshalb vom Gewicht her nicht mal halb ausgelastet. Dürften wir aber unseren Gigaliner benutzen, könnten wir wesentlich mehr Teile mit einer Fahrt transportieren: Könnten also unsere Kunden besser bedienen, würden Geld sparen und die Umwelt schonen." Nach dieser Lesart würde allein das Unternehmen Girlinger 20 000 Liter Diesel im Monat einsparen können, weil weniger Fahrten für die Fracht notwendig wären.

Aber beim Blick auf den Werkhof kommen dem Laien deutliche Zweifel, ob das dort geparkte Gefährt wegen seiner unübersehbaren Überlänge und Ehrfurcht erregenden Mächtigkeit überhaupt den Hof, geschweige denn den ersten engen Kreisel unfallfrei passieren kann. Genau an dieser Stelle kommt Senior-Chef Gerd Girlinger ins Spiel. "Kommen Sie, wir fahren eine Runde. Ich zeige Ihnen, dass selbst rückwärts Einparken mit dem Gigaliner kein Problem ist." Im Comic erschiene über dem SZ-Reporter in diesem Moment eine Gedankenblase mit der Inschrift: "Naja, das wollen wir doch erst mal sehen."

Keine zehn Minuten später setzt sich der erste und bislang einzige Gigaliner im Saarland in Bewegung, und dem Beifahrer ist zugegebener Maßen mulmig in der Magengegend. Doch oh Wunder: Völlig ohne Probleme wird der oft von beiden Seiten beparkte Haldenweg Richtung Völklinger Innenstadt gemeistert. Aber jetzt der Kreisel! "Glauben Sie wirklich . . ?" - die Frage ist noch nicht zu Ende gestellt, da hat der weiße Lkw-Lindwurm namens M.A.N.-TGA 18430 den engen Heidstock-Kreisel schon passiert - ohne auch nur einen Randstein berührt zu haben. Eindeutige Spuren auf Rasen und Begrenzungslinien belegen, dass andere Fahrer mit deutlich kleineren Gefährten bei weitem nicht so geschickt agiert haben wie Gerd Girlinger. Der hat aber auch jede Menge Erfahrung und sagt, dass man zum Gigaliner fahren nicht mal eine extra Fahrerlaubnis brauche. Einfach Erfahrung. Nicht ohne Stolz in der Stimme berichtet der 67-Jährige, dass er seit 1959 hinterm Lastwagensteuer sitzt und bis heute über drei Millionen Kilometer unfallfrei gefahren ist. Das beruhigt, denn jetzt kommt die Autobahn - und eine zufällige Begegnung die an die biblische Geschichte von David gegen Goliath erinnert. Smart voraus lautet hier das Stichwort. Ja, der kleinste und der größte Verkehrsteilnehmer geben schon ein putziges Bild beim Überholmanöver des feschen Baby-Benz ab. Da muss auch der alte Hase Gerd Girlinger lachen. Während der Spritztour mit dem Gigaliner verrät der Routinier, dass er "einen ehrbaren Beruf erlernt hat - nämlich Zimmermann" und anfänglich gegen die Gigaliner-Begeisterung seiner Tochter opponiert hat: "Ich war dagegen, aber sie hatte so gute Argumente, dass ich mich habe überzeugen lassen."

Dieses Fach beherrscht die Tochter meisterlich, wie sich bei der Rückkehr aufs Firmengelände herausstellt. Anja Banse sprudelt wie der Springbrunnen in der Innenstadt, wenn sie die vielen Vorteile des oft als "Monstertruck" verunglimpften Gigaliner-Projektes anpreist. Immerhin 14 Millionen Fahrten könnten pro Jahr in ganz Europa eingespart werden, die CO2-Emissionen dürften damit um 3,2 Prozent zurückgehen, der Sprit-Verbrauch von Europas Lkw-Flotte würde um 12,45 Prozent sinken, da 13 Prozent weniger Fahrzeuge benötigt würden. Dies sei nicht ihre Privatmeinung, "sondern das sind die Ergebnisse, die 15 Ingenieure und Ökonomen des belgischen Teams Transport & Mobility der Universität Leuven zusammen mit dem Managementzentrum der Technischen Hochschule Aachen herausfanden". Außerdem werde der erwartete Anstieg der Frachttransporte bis 2020 auf der Schiene um 3,8 Prozent und per Schiff um 2,9 Prozent geringer ausfallen.

Beeindruckend gut informiert kommt aus der Argumenten-Pistole geschossen, was die Damen und Herren der EU-Kommission in Brüssel bislang ebenso wenig beeindruckt hat, wie die zuständigen Ansprechpartner im saarländischen Wirtschaftsministerium. Dort wollte sie eine Sondergenehmigung erwirken, die es ihrer Firma erlauben sollte, vom Ford-Betriebsgelände in Saarlouis bis zu den Ford-Werken in Köln mit dem Gigaliner zu fahren. Bislang ohne Erfolg: "Aus dem Ministerium bin ich wegen meiner Hartnäckigkeit mal rausgeflogen", sagt Anja Banse und lacht. Was sie nicht sagt, aber meint: "Ich komme wieder!" - Keine Frage.

 GerdGirlinger

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 Auch einen engen Kreisverkehr schafft der Riesen-Lkw mühelos.

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