NSU-Prozessabschluss Schuldig

Zehn Morde, zwei Sprengstoffanschläge und viele Raubüberfälle: Fünf Jahre hat das Oberlandesgericht München über die NSU-Gräueltaten verhandelt. Jetzt wird das Urteil vom Bundesgerichtshof überprüft.

 Lebenslange Haft  für Beate Zschäpe.

Lebenslange Haft für Beate Zschäpe.

Foto: dpa/Peter Kneffel

Beate Zschäpe zeigt keine erkennbare Reaktion. Ganz in Schwarz ge­kleidet, aber mit einem rot-lila-weißen Schal, lauscht sie den Worten des Vorsitzenden Richters Manfred Götzl. Höchste Spannung herrscht gestern im proppenvollen Gerichtssaal 101, als Götzl das Urteil im NSU-Prozess verkündet. Zschäpe hat den Kopf der Richterbank zugewandt, als der Richter sofort zur Sache kommt: Die 43-Jährige ist schuldig des zehnfachen Mordes und vieler weiterer Verbrechen und Straftaten – und wird zu lebenslanger Haft verurteilt.

Das Münchner Oberlandesgericht verurteilt Beate Zschäpe also tatsächlich als Mittäterin an den Morden und Anschlägen des „Nationalsozialistischen Untergrunds“ (NSU): als Mörderin, als Attentäterin, als Bombenlegerin – auch wenn es bis heute keinen Beweis gibt, dass sie an einem der vielen Tatorte war. Doch das Gericht folgt nach mehr als fünf Jahren Prozessdauer, nach mehr als 430 Verhandlungstagen, nach hunderten Zeugen, nach dem Bewerten und Wägen unzähliger Indizien der Argumentation der Bundesanwaltschaft. Auf deren Maximalanklage folgt nahezu die Maximalverurteilung: Das Gericht stellt auch die besondere Schwere der Schuld fest, verzichtet lediglich auf die Anordnung von anschließender Sicherungsverwahrung.

Der Mitangeklagte Ralf Wohlleben wurde als NSU-Waffenbeschaffer zu zehn Jahren Haft verurteilt. Das Gericht sprach ihn der Beihilfe zum Mord in neun Fällen schuldig. Holger G. wurde wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung zu drei Jahren Haft verurteilt, Carsten S. wegen Beihilfe zum Mord in neun Fällen zu drei Jahren Jugendstrafe. Beim mitangeklagten André E. blieb das Gericht mit zweieinhalb Jahren Haft weit unter der Forderung der Bundesanwaltschaft, die auf Beihilfe zum versuchten Mord plädiert hatte. Das Gericht verurteilte E. nur wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung. Bis das Urteil rechtskräftig ist, wird er aus der Untersuchungshaft entlassen.

Götzl redet ungewöhnlich schnell, sowohl bei der Urteilsverkündung als auch in der anschließenden Urteilsbegründung. Und macht immer wieder deutlich, dass das Gericht Zschäpe als gleichberechtigtes Mitglied eines eingeschworenen Terror-Trios sieht. Zschäpe und ihre Freunde Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt seien übereingekommen, als zusammengeschlossener Verband Menschen aus antisemitischen oder anderen Gründen zu töten, sagt Götzl. Er spricht von ideologisch motivierten Zielen, an denen alle drei gleich großes Interesse gehabt hätten. Die Taten seien nur unter Mitwirkung Zschäpes durchführbar gewesen. Deren Aufgabe sei etwa gewesen, für eine harmlose Legende nach außen zu sorgen, um die Entdeckung zu erschweren. „Sie unterwarf sich willentlich dieser gemeinsam gewollten Gesamtkonzeption.“

Der Senat ist davon überzeugt, dass Zschäpe und ihre beiden Freunde alles vorab geplant hatten – und zwar bis zum bitteren Ende. Es habe zum Konzept des NSU gehört, im Fall eines Scheiterns ein Selbstbekenntnis zu veröffentlichen. Deshalb die Fotos, deshalb das Bekennervideo. Die drei hätten dafür gesorgt, dass sowohl die „mobile Einheit“ – also Mundlos und Böhnhardt auf Tour – wie auch Zschäpe in der „Zentrale“ daheim in der Lage waren, an die Öffentlichkeit zu gehen. Nachdem Mundlos und Böhnhardt mit einem Überfall in Eisenach am 4. November 2011 scheiterten, habe Zschäpe nur umgesetzt, was 1998 schon vereinbart und geplant gewesen sei. Dass Götzl in der Urteilsbegründung so genau formuliert, zeigt: So leicht, wie der allgemeine Erwartungsdruck das vermuten ließ, war es für das Gericht nicht.

Deshalb hat dieser Prozess ja so lange gedauert: weil das Gericht, einem Mosaik gleich, ein großes Bild zusammensetzen musste. Und am Ende die Frage stellen musste: Reicht das, was Zschäpe in all den Jahren getan hat, zur Begründung einer Mittäterschaft aus? Kann sie als Mörderin bestraft werden, als hätte sie selbst den Abzug jener Waffe gedrückt, mit der ihre Freunde mordend durchs Land zogen?

Die Richter haben diese Frage mit einem Ja beantwortet – und damit deutlich gemacht: Sie glauben Zschäpe nicht. Die 43-Jährige hatte ja vergangene Woche noch ans Gericht appelliert, sie wolle nicht für etwas bestraft werden, was sie weder gewollt noch getan habe. In ihren schriftlichen Einlassungen hatte sie erklärt, sie habe von den Morden und Anschlägen immer erst im Nachhinein erfahren, sie habe sich von den beiden Freunden nicht lösen können, sei abhängig gewesen, geschlagen worden. Zschäpes Verteidiger hatten argumentiert, ihre Mandantin sei keine Mörderin, keine Attentäterin. Doch bei Götzls OLG-Senat sind sie damit in keiner Weise durchgedrungen.

 Zehn Jahre Haft für Ralf Wohlleben.

Zehn Jahre Haft für Ralf Wohlleben.

Foto: dpa/Andreas Gebert
 Drei Jahre Haft  für Holger G.

Drei Jahre Haft für Holger G.

Foto: dpa/Tobias Hase
 Drei Jahre Jugendstrafe für Carsten S.

Drei Jahre Jugendstrafe für Carsten S.

Foto: Tobias Hase/dpa/Tobias Hase
 Zweieinhalb Jahre Haft für André E.

Zweieinhalb Jahre Haft für André E.

Foto: dpa/Tobias Hase

Der juristische Schlussstrich unter die Aufarbeitung der NSU-Mordserie ist noch nicht endgültig, denn die Verteidigung kündigte an, Revision einzulegen. Damit ist der Bundesgerichtshof am Zug – genau der Senat, der in der Vergangenheit hohe Hürden für Verurteilungen wegen Mittäterschaft aufgestellt hatte. Bis die Richter in Karlsruhe entscheiden, wird es noch lange dauern.

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