Migration Schlappe für Ungarn und die Slowakei

Brüssel · Der Europäische Gerichtshof verdonnert die Länder zur Aufnahme von Flüchtlingen. Die Kommission droht nun auch Polen und Tschechien.

 Ihre Klage gegen die Flüchtlingsaufnahme wurde abgewiesen: Ungarns Premierminister Viktor Orbán (l.) und der slowakische Regierungschef Robert Fico – hier bei einem Treffen in Bratislawa.

Ihre Klage gegen die Flüchtlingsaufnahme wurde abgewiesen: Ungarns Premierminister Viktor Orbán (l.) und der slowakische Regierungschef Robert Fico – hier bei einem Treffen in Bratislawa.

Foto: dpa/Jakub Gavlak

Für Viktor Orbán ist es eine schwere Woche. Gestern bestätigte der Europäische Gerichtshof (EuGH) den im September 2015 per Mehrheit und gegen den Willen von Ungarn, Tschechien, Rumänien und der Slowakei getroffenen Entschluss, 120 000 Flüchtlinge aus Griechenland und Italien auf andere Mitgliedstaaten umzuverteilen. Ungarn hatte dagegen gemeinsam mit der Slowakei und dem Beistand von Polen geklagt – unter dem Verweis auf angebliche Verfahrensfehler und der Behauptung, die Umsiedlung sei nicht geeignet, um der Flüchtlingskrise etwas entgegenzusetzen. Die Richter waren jedoch anderer Meinung. Denn Artikel 78 des Lissabon-Vertrags (das Regelwerk der EU) ist eindeutig: „Befindet sich ein Mitgliedstaat aufgrund eines plötzlichen Zustroms von Drittstaatsangehörigen in einer Notlage, so kann der Rat (das Gremium der Mitgliedstaaten, Anmerkung der Redaktion) vorläufige Maßnahmen zugunsten der betreffenden“ EU-Länder erlassen, heißt es darin. Weder seien die Innenminister dazu verpflichtet, „den angefochtenen Beschluss einstimmig anzunehmen“, noch handle es sich dabei um eine wirkungslose Maßnahme, betonte der EuGH: Vielmehr ließe sich die „geringe Zahl“ der bislang umverteilten Flüchtlinge auf mehrere damals nicht vorhersehbare Faktoren zurückführen – „darunter die mangelnde Kooperation bestimmter Mitgliedstaaten“.

Deutlicher hätte der Richterspruch aus Luxemburg kaum ausfallen können – und er stärkt der EU-Kommission den Rücken, die bereits im Juni gegen Polen, Tschechien und Ungarn ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet hat. Der Grund: Alle drei Länder haben bislang entgegen der Vereinbarung keinen einzigen Flüchtling bei sich aufgenommen – die Slowakei gerade einmal 16 Menschen. Insgesamt fällt die Statistik aber auch für die übrigen Mitgliedstaaten dürftig aus. Migrationskommissar Dimitris Avramopoulos bemühte sich gestern, die bisher 27 695 in andere EU-Länder umgesiedelten Asylsuchenden als Erfolg zu verkaufen. Dabei müssen nach einem bereits im Juni 2015 getroffenen Beschluss der Staats- und Regierungschefs und der Entscheidung vom September insgesamt 160 000 Menschen aus Griechenland und Italien in anderen EU-Ländern aufgenommen werden. Innerhalb von zwei Jahren sollte das eigentlich geschehen.

Trotz der Verweigerungshaltung Ungarns hatte Orbán in der vergangenen Woche in einem Schreiben an Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker ausgerechnet um mehr Solidarität der EU gebeten – und zwar in Form von 400 Millionen Euro, um Budapest für den Bau seines Grenzzauns zu entschädigen. In seiner Antwort vom Dienstag zerfetzte der Behördenchef die Anfrage buchstäblich in der Luft. „Solidarität ist eine Zweibahnstraße, kein Menü à la carte“, schrieb Juncker darin. Stattdessen habe Ungarn sich dafür entschieden, die ursprünglich auch diesem Land angebotene Umverteilung (von bis zu 54 000 Flüchtlingen) auszuschlagen und damit auch die zugehörigen EU-Hilfsgelder über vier Millionen Euro. Deshalb entschieden die übrigen Mitgliedstaaten, dass Ungarn wie alle anderen (außer Großbritannien und Dänemark, die Sonderkonditionen besitzen) Asylsuchende aufnehmen muss.

Darüber hinaus zur Verfügung gestellte Nothilfen nutzte Ungarn dagegen kaum – von 6,26 Millionen Euro, die 2014 und 2015 aus dem Nothilfefonds der Gemeinschaft bereitstanden, beanspruchte Budapest laut EU-Kommission nur 33 Prozent. Darüber hinaus bekam Ungarn aus einem bis 2020 laufenden Fonds für innere Sicherheit 40 Millionen Euro. Ohnehin ist Ungarn der „achtgrößte Empfänger des Europäischen Struktur- und Investmentfonds“ (Efsi), wonach 25 Milliarden Euro in wirtschaftliche Projekte des osteuropäischen Staats fließen sollen – dies entspricht drei Prozent der Jahreswirtschaftsleistung Ungarns und damit mehr, als jeder andere Mitgliedstaat aus dem Investitionsfonds erhält. Über mangelnde Unterstützung kann sich Orbán also eigentlich nicht beklagen. Die EU hingegen schon.

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