Schlag gegen die „wahre Religion“

Pulheim/Saarbrücken · Sie verteilen Korane in Städten und verbinden damit Hassbotschaften: Die salafistische Gruppe „Die wahre Religion“ ist nun verboten worden. Der Bundesinnenminister wirft ihr vor, IS-Kämpfer angeworben zu haben.

 In zehn Bundesländern – hier eine Aufnahme aus Berlin – beschlagnahmten Polizisten Unterlagen der Salafisten. Foto: Zinken/dpa

In zehn Bundesländern – hier eine Aufnahme aus Berlin – beschlagnahmten Polizisten Unterlagen der Salafisten. Foto: Zinken/dpa

Foto: Zinken/dpa

In der Dunkelheit nähert sich eine Kolonne von Polizei-Transportern ohne Blaulicht am Dienstagmorgen einem Bauernhof in Pulheim nördlich von Köln. Hier ist in einer großen Halle das Zentrallager des Vereins "Die wahre Religion" untergebracht. Von hier kam der Nachschub für die bundesweiten "Lies!"-Aktionen islamistischer Koranverteiler in Fußgängerzonen von Städten.

In der Halle sind die Bücher, um die es geht, meterhoch und tausendfach auf Paletten gestapelt. Etwa 25 000 Koran-Exemplare werden beschlagnahmt. 3000 Aktivisten sollen nach Angaben des Vereins in den vergangenen Jahren bereits mehr als drei Millionen Bücher in Deutschland verteilt haben.

"Lies!" war die größte und aufwendigste Werbeaktion von Islamisten in Deutschland. Ihre Kosten werden auf mehrere Millionen Euro geschätzt. Als Initiator gilt der bereits wegen Sozialhilfebetrugs verurteilte Ibrahim Abou-Nagie. Der gebürtige Palästinenser soll sich derzeit in Malaysia aufhalten. Es gebe Hinweise, dass er dort und in anderen europäischen Ländern ähnliche Aktionen plane, berichten die Sicherheitsbehörden in NRW.

Die von fast 100 000 Leuten mit "Gefällt mir" markierte Facebook-Seite der Islamisten ("Die wahre Religion") ist am Dienstag bereits verschwunden. Unter gleichem Namen und Logo twittert eine Gruppe, in Deutschland sei der Koran verboten worden.

"Heute ist nicht der Koran verboten worden", betont NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD ) - "aber die führende Organisation für die Rekrutierung von Kämpfern für den Dschihad ". Vielleicht finde man nun auch heraus, woher die enormen Geldsummen stammen, über die die Salafisten verfügten, sagt Jäger.

Nicht nur in Nordrhein-Westfalen, in allen westlichen Bundesländern - das Saarland ausgenommen - sowie in Berlin rückt die Polizei im Morgengrauen aus, um das Verbot der Salafisten-Organisation durchzusetzen. Insgesamt werden rund 190 Wohnungen, Büros und andere Liegenschaften durchsucht, das gesamte Vereinsvermögen wird beschlagnahmt. In Hamburg ist die Al-Taqwa-Moschee Ziel der Polizei .

Immer wieder hatten Eltern, deren Kinder in Syrien den Reihen islamistischer Terroristen gelandet waren, berichtet, angefangen habe alles mit "Lies!", mit den Koranverteilern in der Fußgängerzone. Rund 140 junge Menschen sollen von den Ex tremisten bereits für den Dschihad rekrutiert worden sein. Im Kinderzimmer des Jugendlichen, der gestanden hatte, die Bombe am Sikh-Gebetshaus in Essen gelegt zu haben, fanden sich übrig gebliebene Koran exemplare der "Lies!"-Aktion noch in Folie eingeschweißt in einer Schublade.

Jahrelang war den Hintermännern der Aktion nichts nachzuweisen, konnten sie unter dem Schutz der Religionsfreiheit agieren. Doch die Behörden sammelten verdeckt "harte Belege für die Verfassungsfeindlichkeit der Organisation", wie NRW-Innenminister Jäger sagt. Es werde einer gerichtlichen Prüfung standhalten. "Ein frühes Verbot, was wieder aufgehoben wird, ist schlechter als ein späteres Verbot, das Bestand hat", sagt Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU ). Er wirft den Salafisten sogar Unterstützung der islamistischen Terrormiliz Islamischer Staat (IS) vor. Dass der Spuk in den Innenstädten ein Ende hat, sei ein "klares Signal" im Kampf gegen islamistischen Terror.

Die Bundesmigrationsbeauftragte Aydan Özoguz (SPD ) äußerte sich skeptisch über die Erfolgsaussichten von Razzien gegen Islamisten . In der Vergangenheit sei dabei oft nichts herausgekommen, sagte sie dem TV-Sender Phoenix. Dies hinterlasse auch bei jungen Menschen Spuren. Man müsse bei der Verfolgung von Islamisten mit "sehr großem Augenmaß" vorgehen, damit es nicht heiße, es werde willkürlich in Moscheen eingedrungen.

Mit ihren Äußerungen stieß Özoguz im Saarland auf massive Kritik. "Mit ihrem Gefasel von Willkür und davon, was man als Staat mit solchen Leuten macht, erweist sie sich abermals als verantwortungslos und untragbar", erklärte CDU-Generalsekretär Roland Theis und nannte die Worte der Migrationsbeauftragten "Unfug". "Es wird Zeit, dass die Dame geht", so Theis.Im Saarland gibt es nach Lagebericht des Landesamts für Verfassungsschutz von 2015 rund 150 Personen, die dem Phänomenbereich des Salafismus zugerechnet werden. Im laufenden Jahr ist den Verfassungsschützern zufolge eine Steigerung erkennbar, genaue Zahlen wurden allerdings für 2016 noch nicht genannt. Etwa zehn Personen im Saarland werden derzeit als gewaltorientiert eingeschätzt.

Der Salafismus könne also nicht zwangsläufig mit Gewalt und Terror in Verbindung gebracht werden, sagte Verfassungsschutz-Leiter Helmut Albert kürzlich bei einer Fachtagung zum Thema Extremismus in Homburg. Es sei zwar richtig, dass ein Großteil der Terroristen dem Salafismus angehöre, aber nicht alle Salafisten seien gleichzeitig Terroristen.

Albert warnte zugleich vor einer Generalverdächtigung gegen die Gruppe: Der Islam und die Muslime seien kein Problem für die Sicherheitslage in Deutschland. Auch die oft geschürte Angst vor einer Islamisierung Deutschlands hält Albert für übertrieben.

Meinung:

Hart, aber richtig

Von SZ-Korrespondent Hagen Strauß

Es ist ein harter und konsequenter Schlag, den die Innenminister von Bund und Ländern gegen die umtriebige und gefährliche Salafisten-Szene in Deutschland angeordnet haben. Anfänglich wurden die Anhänger des Salafismus noch verspottet, als sie damit begannen, in den Fußgängerzonen den Koran zu verteilen. Die Ziele der Gruppe "Die wahre Religion" waren damals schon durchschaubar. Insofern ist die Frage berechtigt, warum die Behörden erst so spät so umfassend agiert haben. Nicht nur das Verbot war längst überfällig.

Das Signal ist nun eindeutig: Toleranz, die das Grundgesetz vorgibt, hat ihre Grenzen dort, wo Menschen das Gegenteil im Sinn haben. Salafisten haben mit der freiheitlichen Grundordnung nichts am Hut. Vor ihnen muss der Staat seine Bürger mit Macht schützen.

Zum Thema:

Hintergrund Salafisten wollen Staat, Rechtsordnung und Gesellschaft nach mittelalterlichen Regeln umgestalten. Sie sehen sich als Verfechter eines unverfälschten Islams, lehnen Reformen ab und betreiben die Errichtung eines islamistischen Gottesstaates. Das Bundesamt für Verfassungsschutz beziffert die Zahl radikal-islamistischer Salafisten in Deutschland derzeit auf 9200. Es radikalisieren sich dabei immer mehr junge Menschen, oft über das Internet. dpa

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