Riskanter BefreiungsschlagPerry gegen Obama

Tel Aviv. Ihren eigenen Staat haben die Palästinenser eigentlich schon vor fast einem Vierteljahrhundert ausgerufen: In Algier proklamierte die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) am 15. November 1988 einen unabhängigen Staat Palästina. Seit dieser symbolischen Geste haben die Palästinenser fast nichts unversucht gelassen, um ihren Traum zu verwirklichen

Tel Aviv. Ihren eigenen Staat haben die Palästinenser eigentlich schon vor fast einem Vierteljahrhundert ausgerufen: In Algier proklamierte die Palästinensische Befreiungsorganisation (PLO) am 15. November 1988 einen unabhängigen Staat Palästina. Seit dieser symbolischen Geste haben die Palästinenser fast nichts unversucht gelassen, um ihren Traum zu verwirklichen.Bei einem legendären Auftritt vor den UN hatte zuvor bereits PLO-Chef Jassir Arafat 1974 in der Hand einen Ölzweig und im Hüftgurt eine Pistole getragen, als Symbol für die Doppelstrategie von Verhandlungen und Gewalt auf dem Weg zur Unabhängigkeit. Doch weder Friedensgespräche mit Israel noch Bomben- und Raketenangriffe haben letztlich geholfen: Die Besatzung der Palästinensergebiete dauert immer noch an, und die israelischen Siedlungen wachsen immer weiter.

Die neue Initiative zur Anerkennung eines Palästinenserstaates in den Grenzen von 1967 durch die Vereinten Nationen ist daher als Befreiungsschlag gedacht, der die verknöcherten Strukturen in Nahost aufbrechen soll. Es ist ein Versuch der Palästinenserführung von Mahmud Abbas, die Karten in der Region neu zu mischen und Israel zu Bewegung im Friedensprozess zu zwingen. Die radikal-islamische Hamas, die den Gazastreifen fest im Griff hat, lehnt Abbas' Idee als Hirngespinst ab und setzt weiter auf den bewaffneten Widerstand.

Das UN-Vorhaben ist eine Reise mit ungewissem Ziel: Abbas' kühner Schritt birgt Risiken und könnte auch die Errungenschaften gefährden, die die Palästinenser bisher auf dem Weg zur eigenen Staatlichkeit schon erzielt haben. Die USA haben etwa mit einem Stopp der Finanzhilfen an die palästinensische Autonomiebehörde gedroht und Israel spricht von einer Aufkündigung der bisherigen Friedensverträge. Deutschland fordert die sofortige Wiederaufnahme von Friedensverhandlungen und spricht sich wie die EU für einen palästinensischen Staat im Rahmen einer Zweistaatenlösung aus.

In Ramallah bejubelten tausende Palästinenser gestern ausgelassen die nationale Offensive. Doch das Erwachen in der nahöstlichen Realität könnte sich als unsanft erweisen.

Benjamin Netanjahus Äußerungen vor der Abreise nach New York ließen zumindest nur wenig Hoffnung auf einen Durchbruch im Friedensprozess. Der israelische Regierungschef sagte, sein Land müsse angesichts der dramatischen Umwälzungen in der Region im Zuge des "Arabischen Frühlings" vor allem Vorsicht walten lassen. Er wolle den Vereinten Nationen bei seiner Ansprache am Freitag "seine Wahrheit" erklären: Israel kämpfe weiterhin um seine Existenz und müsse deshalb "auf seinen Rechten und Bedürfnissen beharren". Netanjahus Kritiker werfen ihm vor, er reagiere auf die Veränderungen in Nahost nur mit einer sturen Bunkermentalität und bringe Israel damit an den Rand des Abgrunds.

Die jüngsten Konflikte mit der Türkei und Ägypten haben Israel in eine gefährliche Isolation befördert, aus der sich der jüdische Staat wohl nur mit einer Wiederbelebung des Friedensprozesses retten könnte. Doch innenpolitisch hat Netanjahu nur wenig Spielraum. Ein Kommentator der Zeitung "Haaretz" schrieb gestern: "Netanjahus Augen sind auf die einzige politische Basis gerichtet, die er hat - die Rechte. Für ihn ist es zu spät, um Teams zu wechseln."

Bei seinem Auftritt vor den UN muss Netanjahu daher vorsichtig lavieren: Kann er die Weltöffentlichkeit nicht von Israels Friedenswillen überzeugen, droht sein Land noch weiter in die Isolation abzugleiten. Kommt er den Palästinensern jedoch zu weit entgehen, verprellt er seine rechtsorientieren Koalitionspartner.

Und der Druck von rechts ist gewaltig: Die graue Eminenz in der Regierung, Außenminister Avigdor Lieberman von der ultra-nationalen Partei Israel Beitenu (Unser Haus Israel), dementierte zwar Zeitungsberichte, er habe Netanjahu mit Koalitionsbruch gedroht, falls dieser die Palästinenser nicht für ihren UN-Vorstoß "bestrafen" sollte. Aber sein Stellvertreter Danny Ajalon forderte im israelischen Rundfunk eine Reihe möglicher Strafmaßnahmen, sollte Abbas den Antrag auf Vollmitgliedschaft einreichen.

"In dem Moment, in dem die Palästinenser sich an die Vereinten Nationen wenden, sind die Friedensverträge aufgekündigt", sagte Ajalon. Man erwäge auch die Annexion der großen Siedlungsblöcke im Westjordanland sowie die Einbehaltung von monatlich umgerechnet 100 Millionen Euro aus Steuern und Zöllen, die den Palästinensern zustehen.

Israels Sicherheitskräfte befürchten allerdings, ihre palästinensischen Kollegen im Westjordanland könnten ihre Aufgaben nicht mehr erfüllen, sollten sie keine Gehälter mehr bekommen. Dies wäre besonders prekär, weil Israel sich darauf einstellt, dass friedliche Demonstrationen im Westjordanland in Gewalt ausarten könnten.

Bewegung ist nicht in Sicht. Ein Kommentator der israelischen Zeitung "Jediot Achronot" fasste die "Tragödie" in Nahost gestern so zusammen: Sowohl Netanjahu als auch Abbas wollten Frieden. "Sie wollen es wirklich. Aber sie wollen nicht den Preis dafür zahlen." New York. Während der Präsident bei den Vereinten Nationen fieberhaft versucht, die Palästinenser davon abzubringen, im Alleingang ihre Staatsgründung zu betreiben, greift ihn der Spitzenreiter im Feld der republikanischen Präsidentschaftsbewerber Rick Perry (Foto: afp) als "Besänftigungs"-Politiker an. "Den Klagen Israels und der Palästinenser den gleichen Stellenwert einzuräumen, ist eine gefährliche Beleidigung", erklärt der Gouverneur von Texas der eigens nach New York reiste, um Obamas Israel-Politik unter Beschuss zu nehmen.

"Es gibt keinen Platz in der Mitte zwischen unseren Alliierten und denen, die ihre Zerstörung suchen", echauffiert sich Perry vor amerikanischen Sympathisanten Benjamin Netanyahus, der in Israel eine Rechts-Koalition anführt. Der Republikaner spricht den Zuhörern aus dem Herzen, wenn er Israels Anspruch auf das ganze Jerusalem unterstützt. Als Präsident würde er die Botschaft der USA aus Tel Aviv verlegen. In der Siedlungsfrage will Perry den Israelis ebenfalls freie Hand lassen.

Obama, so seine Botschaft an die jüdischen Wähler in den USA, betreibe eine "naive, arrogante, fehlgeleitete und gefährliche" Nahost-Politik, die Israel "unter den Bus wirft" und Verbündete wie Ägyptens gestürzten Präsidenten Husni Mubarak im Stich gelassen habe, "um die arabische Straße zu besänftigen". Perry wittert nach dem überraschenden Sieg des Katholiken Bob Turner bei den Nachwahlen in dem stark jüdisch geprägten 9. Bezirk von New York eine Chance, Obamas Unterstützung bei den jüdischen Wählern zu schwächen. Eine Chance, die auch andere Republikaner sehen, die in der Israel-Politik Obamas eine Angriffsfläche ausgemacht haben, bei der sie ihm außenpolitische Schwäche vorhalten können.sp

"Sowohl Netanjahu als auch Abbas wollen Frieden. Aber sie wollen nicht den Preis dafür zahlen."

Kommentar der Zeitung

"Jediot Achronot"

Hintergrund

Hauptziel der UN-Initiative ist es nun, den Status der Palästinenser gegenüber Israel aufzuwerten. Denn es ist ein großer Unterschied, ob die Palästinenser als PLO oder als staatliche Einheit mit Israel verhandeln. Eine Anerkennung als vollwertiges UN-Mitglied gilt zwar angesichts des von den USA angekündigten Vetos im Sicherheitsrat als ausgeschlossen. Doch auch als Nichtmitgliedstaat, ähnlich wie der Vatikan, könnte sich Palästina Zugang zu den UN-Sonderorganisationen und dem internationalen Strafgerichtshof in Den Haag verschaffen. Gerade dieser letzte Punkt ist es, der Israel Kopfschmerzen bereitet. Der Gerichtshof könnte zuständig werden für Straftaten von Israelis, aber auch von Palästinensern. Auch die Ansiedlung von Israelis im Westjordanland könnte nach Einschätzung des Bürgerrechtsverbands künftig als Kriegsverbrechen gewertet werden. dpa

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