Argumente versus Realität Richter und Experten machen der AfD das Leben schwer

Berlin · Flüchtlinge sind „Schmarotzer“, meinen Rechtspopulisten. Aktuelle Zahlen legen Gegenteiliges nahe. Und auch sonst sprechen Fakten gegen Argumente von rechts.

15SZ-Flüchtlinge mit Job

15SZ-Flüchtlinge mit Job

Foto: SZ/Steffen, Michael

Die AfD hat in der zurückliegenden Woche bei drei ihrer Kernthemen argumentative Rückschläge hinnehmen müssen. Beim Euro und bei der Rundfunkgebühr gab es höchstrichterliche Urteile zu ihren Ungunsten; bei der Integration von Flüchtlingen überraschende Zahlen.

Wohl besonders hart traf die Partei gestern die Äußerung von Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer, wonach die Integration der Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt erfolgreicher verlaufe als angenommen. „Von mehr als einer Million Menschen, die vor allem seit 2015 nach Deutschland gekommen sind, haben heute bald 400 000 einen Ausbildungs- oder Arbeitsplatz“, sagte Kramer in einem Interview. Und zwar überwiegend in sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung. Die meisten jungen Migranten könnten überdies nach einem Jahr Unterricht so gut Deutsch, dass sie dem Berufsschulunterricht folgen könnten, sagte Kramer weiter. Die Flüchtlinge seien „eine Stütze der deutschen Wirtschaft“ geworden. Die Bilanz gipfelte in der Bemerkung, Angela Merkel habe mit ihrem „Wir schaffen das“ Recht behalten.

Wie sehr das die AfD traf, merkte man an ihrem Schweigen. Wo sonst immer sofort und schnell in den sozialen Medien getobt wird, blieb diesmal alles ruhig. Mit Ausnahme von Fraktionschef Alexander Gauland, der Kramer öffentlich riet, „sich die Wirklichkeit nicht schön zu reden“. Alternative Fakten hatte Gauland freilich diesmal nicht parat.

Sehr zentral berührte auch das Urteil des Europäischen Gerichtshofes zu den Anleihenkäufen der EZB vom Dienstag die Positionen der Rechtspopulisten. Die Kritik an der Eurorettungspolitik ist ihr Gründungsthema. Geklagt hatte unter anderem AfD-Urvater Bernd Lucke, der inzwischen ausgetreten ist. Doch die Richter urteilten, die billionenschweren Aufkäufe von Staatsanleihen kriselnder Länder seien normale Geldpolitik. AfD-Fraktionschefin Alice Weidel reagierte darauf mit Gerichtsbeschimpfung: „Vom EuGH war kein anderes Urteil zu erwarten“, erklärte sie. Die Kammer sei „notorisch brüssel-freundlich“. Weidels Konsequenz war nicht etwa das Überdenken der eigenen Position, sondern lautete: „Dexit.“ Der Austritt Deutschlands aus dem Euro. Denn: „Mit diesem Urteil ist Klarheit geschaffen, dass innerhalb des Euro-Systems keine Rückkehr zu einer soliden Geldpolitik mehr möglich ist.“ Bei einem anderen Urteil hätte sie freilich genauso argumentiert.

Die Abschaffung der Rundfunkgebühr gehört zu den populärsten Forderungen der AfD. Sie ist Teil ihres Kampfes gegen die Medien, insbesondere gegen den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Auch hier musste die Partei einen Rückschlag hinnehmen. Denn nach dem Bundesverfassungsgericht erklärte in dieser Woche auch der Europäische Gerichtshof die Abgabe für rechtens.

Es wäre für die AfD thematisch beinahe eine völlig verhagelte Woche geworden, wenn es nicht zweierlei gegeben hätte. Zum einen den Anschlag von Straßburg. Hier waren die Parteichefs per Twitter und Presserklärungen außerordentlich schnell zur Stelle. „Europa hat völlig die Kontrolle verloren“, postete zum Beispiel Alice Weidel unter dem Bild einer Trauerkerze. Und dann gab es da noch ein Scharmützel im Bundestag. Weil die Mehrheit schon wieder ohne Begründung die AfD-Kandidatin für das Amt der Bundestagsvizepräsidentin, Mariana Harder-Kühnel, durchfallen ließ, kündigte Gauland eine „härtere Gangart“ an. „Wer nicht hören will, muss fühlen“, sagte er und ließ am Freitag, als die Anwesenheit schon arg bröckelte, plötzlich die Feststellung der Beschlussfähigkeit beantragen. Samt „Hammelsprung“. Die AfD-Abgeordneten selbst verließen den Saal in Richtung Kantine. Die Abgeordneten der anderen Fraktionen mussten aus ihren Büros herbeieilen, um die Sitzung noch geordnet zu Ende zu bringen.

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