EU leitet Verfahren ein Richter-Schicksale in den Händen der polnischen Regierung

Warschau · Ab heute müssen oberste Richter in Polen mit 65 statt mit 70 in Pension gehen. Ein weiterer schwerer Eingriff in die Justiz? Die EU hat ein Verfahren eingeleitet.

 Der polnische Staatspräsident Andrzej Duda

Der polnische Staatspräsident Andrzej Duda

Foto: dpa/Czarek Sokolowski

(dpa) Fällt im Streit um die polnische Justizreform die womöglich letzte unabhängige Bastion? Nach Kaderwechseln durch die nationalkonservative Regierung gelten zahlreiche Justizbehörden in dem Land als befangen. Nun, so warnen Kritiker, knöpft sich die Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) auch den Obersten Gerichtshof vor.

Dort könnten nach dem heutigen Tag zahlreiche Juristen ausgetauscht werden. „Viele Richter des Obersten Gerichts könnten gezwungen werden, früher in Pension zu gehen“, sorgt sich unter anderem das Antikorruptionsgremium des Europarates Greco in seinem jüngsten Bericht.

Denn ein bereits im April in Kraft getretenes Gesetz sieht vor, dass oberste Richter ab heute bereits mit 65 statt bisher 70 Jahren in den Ruhestand gehen müssen. Die Regelung trifft derzeit auf rund ein Drittel der Richterschaft zu. Wer im Amt bleiben will, muss dies bei Staatspräsident Andrzej Duda beantragen – samt ärztlichem Attest, das die Gesundheit bescheinigt. Für die Entscheidung hat Duda mehrere Monate Zeit, so dass befürchtete Pensionierungen auch nach Juli erfolgen können.

Am obersten Gerichtshof würde die Regelung 27 von derzeit 74 Juristen betreffen. 16 von ihnen beantragten bereits eine Amtsverlängerung, wie das Gericht angibt. Allerdings hätten sich die meisten nicht auf das PiS-Gesetz, sondern die Verfassung berufen. Ihre Amtszeit sei rechtlich garantiert, die Kürzung eine Rechtswidrigkeit, meinen die Richter. „Das stellt einen offensichtlichen Verstoß der Regierenden gegen eine der grundlegenden Garantien einer unabhängigen Justiz dar“, heißt es in einer Erklärung der Juristen. Die Greco-Experten kritisieren: Dank der neuen Regeln könne das Staatsoberhaupt die Richter de facto aussuchen. „Wir sind besorgt, dass Polen in Bezug auf die Unabhängigkeit der Justiz nicht länger Anti-Korruptionsstandards erfüllt“, warnen sie.

Derweil hat die EU-Kommission ein neues Vertragsverletzungsverfahren gegen Polen eingeleitet. Dies teilte ein Sprecher gestern in Brüssel mit. Die Kommission sieht Dringlichkeit, weil die neue Pensionierungsregel schon von heute an greifen soll. Man hoffe, dass die polnischen Behörden diesen Termin noch einmal überdächten, sagte der Sprecher. „Wir hoffen, dass sie ihre Meinung ändern.“

Kommissions-Vizepräsident Frans Timmermans übte scharfe Kritik: „Die erzwungene Pensionierung dieser obersten Richter würde einen nicht wieder gutzumachenden Bruch der Rechtsstaatlichkeit darstellen.“ Polen verstoße damit gegen Pflichten aus dem EU-Vertrag in Verbindung mit der Europäischen Grundrechtecharta. Der Kommissionssprecher erklärte, das Gesetz sei bereits im laufenden Rechtsstaatsdialog mit Polen angesprochen worden, doch habe es keine befriedigende Lösung gegeben. Trotz des neuen Verfahrens bleibe die Brüsseler Behörde für den Dialog mit Warschau offen. Dies sei für die Kommission der „bevorzugte Kanal, die systemische Bedrohung der Rechtsstaatlichkeit in Polen zu lösen“.

Die EU-Kommission erhebt bereits seit mehr als zwei Jahren Bedenken gegen den Umbau der Justiz. Deshalb hat sie bereits mehrere Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet, unter anderem im Dezember eines wegen neuer Pensionierungsregeln an normalen Gerichten.

Polens Regierung will dagegen von Kritik nichts wissen. „Das Datum 3. Juli wird dämonisiert“, meinte Außenminister Jacek Czaputowicz. Polen habe das Gesetz bereits nachgebessert und sei dabei Forderungen Brüssels entgegenkommen. Über die Amtsverlängerungen der Richter entscheide nicht Duda allein, er müsse den für die Richterwahl zuständigen Landesjustizrat zurate ziehen, erklärte Czaputowicz. Die Reformen würden Polens Justiz von korrupten Richtern befreien, begründet die PiS ihre Gesetze.

Polnischen Rechtsexperten zufolge wäre es inzwischen selbst für eine Klage gegen das Gesetz vor dem Europäischen Gerichtshof EuGH zu spät. So ein Verfahren würde sich über Monate ziehen. Genügend Zeit für die Regierenden, um nicht genehme Richter in den Ruhestand zu schicken.

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