"Putzen ist eine rein weltliche Tätigkeit"

Berlin/Düsseldorf. Wer bei den Kirchen arbeitet, darf nicht streiken. Was über Jahrzehnte eine Selbstverständlichkeit war und von niemandem infrage gestellt wurde, ist ins Wanken geraten. Für den Sommer wird ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts erwartet. Die Richter müssen entscheiden, was schwerer wiegt: das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen oder Grundrechte von Arbeitnehmern

 Eine Putzfrau bei der Arbeit. "Es ist ein Unding, dass kirchliche Beschäftigte kein Streikrecht haben", sagt die Linkspartei. Foto: dpa

Eine Putzfrau bei der Arbeit. "Es ist ein Unding, dass kirchliche Beschäftigte kein Streikrecht haben", sagt die Linkspartei. Foto: dpa

Berlin/Düsseldorf. Wer bei den Kirchen arbeitet, darf nicht streiken. Was über Jahrzehnte eine Selbstverständlichkeit war und von niemandem infrage gestellt wurde, ist ins Wanken geraten. Für den Sommer wird ein Urteil des Bundesarbeitsgerichts erwartet. Die Richter müssen entscheiden, was schwerer wiegt: das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen oder Grundrechte von Arbeitnehmern. Mit 1,3 Millionen Beschäftigten sind die Kirchen die größten Arbeitgeber in Deutschland.Der Bundestag befasst sich heute mit dem kirchlichen Arbeitsrecht. Auslöser ist ein Antrag der Linkspartei. "Es ist ein Unding, dass kirchliche Beschäftigte kein Streikrecht haben", sagt der religionspolitische Sprecher der Linksfraktion, Raju Sharma. Das will seine Partei ändern. Sie will für Beschäftigte bei den Kirchen, der Caritas und Diakonie die gleichen Rechte wie für alle anderen auch. Sharma: "Wenn eine Putzfrau den Kirchenfußboden schrubbt, ist das eine rein weltliche Tätigkeit." Heute kommen in einer Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales Experten zu Wort. Ihre Stellungnahmen zeigen für Sharma, "dass unsere Analyse richtig ist". Kirchliche Arbeitgeber verhielten sich ebenso wie andere. Auch wenn der Antrag der Linken im Bundestag keine Mehrheit finden wird, wertet Sharma ihn schon jetzt als Erfolg: "Wir haben die Situation der kirchlich Beschäftigten ins politische Blickfeld gerückt."

Kerstin Griese ist die Kirchenbeauftragte der SPD-Fraktion, der CDU-Politiker Peter Weiß Vorsitzender des Arbeitnehmerflügels in der Unionsfraktion. Dem Antrag der Linksfraktion können beide wenig abgewinnen, Weiß hält ihn sogar für verfassungswidrig. Doch dass beim kirchlichen Arbeitsrecht einiges im Argen liegt, bestreiten beide nicht. Trotz unterschiedlicher Parteizugehörigkeit eint Griese und Weiß die Sorge, der Sonderweg der Kirchen - der "Dritte Weg" - könne darüber seine Existenzberechtigung verlieren. "Mit Outsourcing und Leiharbeit haben sich die kirchlichen Dienstgeber angreifbar gemacht", sagt Weiß. Er wisse aus vielen Gesprächen, "dass das kirchliche Arbeitsrecht Akzeptanzprobleme bei den eigenen Mitarbeitern hat".

Trotz des Verbots wurde gestreikt, die kirchlichen Arbeitgeber zogen vor die Gerichte. Weiß, der in den 1990er Jahren selbst in der Spitze des Caritasverbandes tätig war, verteidigt das "verbriefte Recht der Kirchen, ihr Arbeitsrecht selbst gestalten zu können". Aber die Politik erwarte, dass die Kirchen es wieder glaubwürdig anwenden, sagt er. Die aus der rheinischen Kirche stammende Kerstin Griese, bis zum Vorjahr Sozialvorstand des Diakonischen Werks war, nennt den Kosten- und Lohndruck in der Sozialbranche als Grund für Niedriglöhne und Leiharbeit auch in kirchlichen Einrichtungen: Die Arbeitgeberseite habe sich professionalisiert, um konkurrenzfähig zu sein. Die Mitarbeitervertretungen konnten nicht mithalten und seien geschwächt, sagt sie.

Rein formal kann die Politik wenig tun. Um in das kirchliche Selbstbestimmungsrecht einzugreifen, müsste sie das Grundgesetz ändern. Dafür gibt es keine Mehrheit. Strittig ist aber, wie weit die arbeitsrechtlichen Regelungen vom Selbstbestimmungsrecht der Kirchen gedeckt sind. Besonders bei der Diakonie seien die Fronten verhärtet, bilanziert Griese und rät zur Abrüstung: "Die Kirchen sollten das Streikrecht akzeptieren und die Gewerkschaften sollten in den arbeitsrechtlichen Kommissionen mitarbeiten." So einfach wird es nicht gehen. Das wissen die Fachpolitiker im Bundestag. Die Grünen wollen zu dem Thema noch gar nicht Stellung beziehen. Die Meinungsbildung sei in vollem Gange, heißt es. Ein Argument für das kirchliche Arbeitsrecht hat sich indes bei allen Beteiligten herumgesprochen: die hohe Tarifbindung von über 80 Prozent. Dies aufs Spiel zu setzen, wäre zum Schaden der Beschäftigten, erklärt Griese.

Hintergrund

In den beiden großen Kirchen gilt im Arbeitsrecht der sogenannte Dritte Weg. Im Unterschied zum Tarifvertragssystem in der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst werden Arbeitsbedingungen sowie Löhne und Gehälter in Kommissionen ausgehandelt. Sie sind mit Arbeitgebern und Arbeitnehmern paritätisch besetzt. Kommt in den Verhandlungen keine Einigung zustande, entscheidet eine Schiedskommission. Ihr Spruch ist verbindlich.

Beim "Dritten Weg" sind Streiks und Aussperrungen verboten. Rechtliche Grundlage ist das im Grundgesetz verankerte kirchliche Selbstbestimmungsrecht. Der "Dritte Weg" hat in den vergangenen Jahren zu heftigen Debatten geführt. Die Gewerkschaften Verdi und Marburger Bund erkennen das Streikverbot nicht an. Zwei Landesarbeitsgerichte haben 2011 im Sinne von Verdi entschieden. epd

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