Interview Franz Wagner „Man muss nachdenken, ob die Trennung auf Dauer Sinn macht“

Berlin · In der Debatte um die Zukunft der Pflege-Finanzierung plädiert der Chef des Pflegerats für eine Zusammenlegung von Kranken- und Pflegeversicherung.

  Franz Wagner ist Präsident des Deutschen Pflegerats.

Franz Wagner ist Präsident des Deutschen Pflegerats.

Foto: Quelle: DPR e.V

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat eine „Grundsatzdebatte“ über „andere Finanzierungsmodelle“ bei der Pflegeversicherung angeregt, um immer weiter steigende Beiträge zu verhindern. Der jüngsten Bertelsmann-Studie zufolge müssten Beiträge wegen steigender Pflegezahlen bis 2045 von heute 3,05 auf 4,25 Prozent steigen. Der Präsident des Deutschen Pflegerates, Franz Wagner, plädiert für eine Zusammenlegung der Pflege- und Krankenversicherung.

Herr Wagner, gerade erst wurde der allgemeine Pflegebeitrag auf 3,05 Prozent erhöht. Damit ist die Pflege bis 2022 finanziert. Warum jetzt eine neue Grundsatzdebatte?

WAGNER Wie müssen uns generell darüber verständigen, wie es mit der Pflegeversicherung weiter geht. Die Regierung will 13 000 neue Stellen im Pflegebereich schaffen. Zur Sicherung der Qualität brauchen wir aber 50 000 Pflegekräfte mehr als jetzt. Das kostet etwa 2,5 Milliarden Euro im Jahr. Daran sieht man schon den finanziellen Mehrbedarf.

Ist die Pflege ein Fass ohne Boden?

WAGNER Schon durch die demografische Entwicklung wird der Finanzierungsbedarf jedenfalls nicht geringer. Wenn die Bürger den Eindruck haben, dass das Geld sinnvoll verwendet wird, dann sind sie auch bereit, größere Lasten zu tragen. Die jüngste Beitragsanhebung bei der Pflege hat nach unseren Erkenntnissen eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz.

Woran denken Sie beim Stichwort „Andere Finanzierungsmodelle“?

WAGNER Der Pflegebeitrag kann längerfristig nur einen Teil der Finanzierung abdecken. An zusätzlichen Steuermitteln, wie es sie schon für die Krankenversicherung gibt, wird kein Weg vorbeiführen. Auch deshalb, um die Kosten auf mehr Schultern zu verteilen. Zugleich muss man darüber nachdenken, ob die Trennung von Kranken- und Pflegeversicherung auf Dauer Sinn macht. Denn die meisten pflegebedürftigen Menschen sind auch krank, oft sogar chronisch krank. Und wer chronisch krank wird, ist deshalb häufig auch pflegebedürftig.

Sie halten eine Zusammenlegung der beiden Systeme für geboten?

WAGNER Zumindest muss das geprüft werden. Die geplanten 13 000 neuen Pflegestellen werden ja schon über die Krankenversicherung finanziert. Das hat damit zu tun, dass die Heimbewohner nicht mit einem höheren Eigenanteil belastet werden sollen. Aber an dem Beispiel wird auch deutlich, dass es in den Pflegeheimen eine immer stärker medizinisch veranlasste Versorgung gibt. Pflegebedürftigkeit und medizinisch pflegerische Versorgung nähern sich weiter an.

Die Pflege ist aber nur eine Art Teilkasko, die Krankenversicherung dagegen deutlich mehr.

WAGNER Das ist sicher das Grundproblem. Deshalb steht ja auch die Forderung nach einer deutlichen Leistungsausweitung bei der Pflegeversicherung im Raum. Umso stärker drängt dann allerdings auch die Finanzierungsfrage.

Die SPD hält die Pflegeversicherung auf Dauer nur für finanzierbar, wenn auch Beamte und Privatversicherte einzahlen. Ist die Bürgerversicherung der Königsweg?

WAGNER Darüber hat sich der Deutsche Pflegerat noch keine abschließende Meinung gebildet. Im Rahmen einer grundlegenden Finanzierungsreform muss auch über die Bürgerversicherung diskutiert werden. Im Kern geht es hier um die Frage, welches Problem schwerer wiegt: die sehr unterschiedliche Systematik zwischen gesetzlicher und privater Pflegeversicherung oder die Sicherung der Versorgung aller Pflegebedürftigen. Da liegt der Ball im Feld der Politik.

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