Großbritannien Theresa May spielt bei Brexit auf Zeit

London · Oppositionschef Jeremy Corbyn wirft der Premierministerin vor, das Parlament mit ihrer Taktik zu erpressen.

 Etwa sechs Wochen vor dem Brexit hat Theresa May vom Parlament mehr Zeit für Änderungen am Abkommen gefordert.

Etwa sechs Wochen vor dem Brexit hat Theresa May vom Parlament mehr Zeit für Änderungen am Abkommen gefordert.

Foto: dpa/House Of Commons

Es war im Dezember, als Theresa Mays angeblicher Plan durchsickerte, bis zuletzt auf Zeit spielen zu wollen. Die Premierministerin würde das endgültige Votum über den mit London und Brüssel ausgehandelten Austritts-Deal hinausschieben, sodass das Parlament am Ende keine andere Option mehr habe als für ihr Abkommen zu stimmen – will es denn vermeiden, dass das Königreich ohne jeglichen Vertrag aus der Gemeinschaft scheidet. So verriet es ein Minister hinter vorgehaltener Hand. Manche lachten damals. Einige winkten ab. Doch es scheint immer offensichtlicher, dass Theresa May diese Strategie nicht nur verfolgte, sondern weiterhin an ihr festhält: Gestern bat sie die Abgeordneten im Unterhaus um mehr Zeit, außerdem um Unterstützung bei ihrem Ziel, weitere Zugeständnisse in Brüssel zu erzielen. Alle müssten nun „die Nerven bewahren“. Einigen Abgeordneten dürfte das angesichts der tickenden Uhr schwerfallen. Am 29. März scheidet das Königreich aus der Staatengemeinschaft aus und das Parlament präsentiert sich so zerstritten wie eh und je. Immerhin keine Mehrheit gibt es derzeit für einen ungeordneten Brexit ohne Deal, auch wenn dieser Fall schlussendlich sozusagen aus Versehen eintreten könnte. Die Gespräche mit der EU befänden sich in „einer entscheidenden Phase“, sagte May wie zur Beruhigung in ihrer Erklärung. Sie will vermeiden, dass das Parlament die Kontrolle über den Austrittsprozess übernimmt. Für diesen Donnerstag nämlich ist eine weitere Wahlrunde in Westminster über die nächsten Schritte geplant. Ein bindendes Votum über den Deal wird es allerdings nicht geben. Mitte Januar hatte May eine krachende Niederlage erlitten, als sie den Kompromiss dem Parlament vorgelegt hatte. Vor wenigen Wochen dann versprach sie ihren Kritikern, zurück nach Brüssel zu kehren, um Änderungen an dem Abkommen durchzusetzen. Das wiederum lehnt die EU vehement ab. Wer zuckt zuerst? Die Machtdemonstrationen im Brexit-Drama haben längst begonnen. Und May kämpft an allen Fronten.

Nachdem sie sich mit der EU auf den sogenannten Backstop geeinigt hatte, fordert sie nun Änderungen an der Garantieklausel für eine offene Grenze zwischen der Republik Irland und dem zum Königreich gehörenden Nordirland. Insbesondere die Brexiteers fürchten, durch den Backstop auf lange Frist an die EU gekettet zu bleiben. Die Notfall-Regelung sieht vor, dass das Königreich auch nach einer Übergangsphase in der Zollunion verbleibt, sollte keine bessere Lösung gefunden werden, um eine harte Grenze in der ehemaligen Bürgerkriegsregion zu verhindern. Konservative Europa­skeptiker fordern „alternative Regelungen“.

May habe den Abgeordneten lediglich „mehr Ausreden, mehr Verzögerungen“ angeboten, kritisierte der Oppositionschef von Labour, Jeremy Corbyn. Nach Ansicht des Alt-Linken erpresse sie die Abgeordneten, den „äußerst mangelhaften Deal“ zu billigen, indem sie mutwillig Zeit schinde. Labour hatte in der vergangenen Woche in einem Brief an die Regierungschefin verkündet, den Deal unterstützen zu wollen, sofern dieser mehrere Kriterien abdecke. Unter anderem fordert Corbyn eine dauerhafte Zollunion mit der EU. Diesem Wunsch erteilte May gestern erneut eine Absage. Zudem wollte sie sich abermals nicht auf ein Datum festlegen, wann sie dem Parlament den Deal endgültig vorlegen wird. Zunächst hofft sie auf „Fortschritte“. Sollte sie diese bis Ende des Monats nicht erreichen, versprach May für den 27. Februar eine dritte Abstimmungsrunde über das weitere Vorgehen. Mittlerweile wird auf der Insel offen die Möglichkeit diskutiert, dass es erst am 21. März zum endgültigen Votum kommt – acht Tage vor dem offiziellen Brexit.

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