Wirtschaftsbericht OECD lobt Deutschland, mahnt aber auch zu Reformen

Berlin · Deutschland bleibt aus Sicht der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit ein Musterschüler in Europa. Trotzdem sieht sie Handlungsbedarf.

 Ángel Gurría, Generalsekretär der OECD

Ángel Gurría, Generalsekretär der OECD

Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka

Die ökonomische und soziale Situation in Deutschlands ist nach Einschätzung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) „beneidenswert“. Bei der Vorstellung ihres neuen Wirtschaftsberichts in Berlin mahnte OECD-Generalsekretär Angel Gurria allerdings die Bundesregierung, sich nicht auf den Erfolgen auszuruhen.

„Es muss jetzt mehr getan werden, um sicherzustellen, dass die heutigen starken wirtschaftlichen und sozialen Ergebnisse erhalten und auf alle ausgeweitet werden“, erklärte Gurria gestern. Die aktuelle Deutschland-Expertise der 35-Staaten-Organisation enthält dazu eine Fülle von Daten und Handlungsempfehlungen.

Die Lage: Seit 2010 liegt das deutsche Wirtschaftswachstum deutlich über dem Schnitt im Euro-Raum. Für das laufende und das kommende Jahr erwartet die OECD einen Zuwachs des deutschen Bruttoinlandsprodukts um je 2,1 Prozent. Auch der Arbeitsmarkt brummt. Nach den Kriterien der OECD liegt der Anteil der Arbeitslosen an der Erwerbsbevölkerung nur bei 3,4 Prozent. Das bedeute „Vollbeschäftigung“, sagte Gurria. Mit einer Quote von weniger als zehn Prozent an Arbeits- und Ausbildungslosen unter den jungen Menschen zwischen 15 und 29 Jahren rangiert Deutschland ebenfalls im OECD-Spitzenfeld. Auch der Anteil der Haushalte, deren verfügbares Einkommen unter der Armutsgrenze liegt, ist in Deutschland vergleichsweise niedrig. Mit rund 16 Prozent belegt man hier Platz 12 von 35.

Die Probleme: Der Produktivitätszuwachs, ein Gradmesser für positive Veränderungen zwischen Ergebnis und dem dafür notwendigen Aufwand inklusive Umweltbelastungen, hat sich in den letzten zehn Jahren auf durchschnittlich 0,7 Prozent verlangsamt. Zwischen 1997 und 2007 waren es noch zwei Prozent. So habe der Schadstoffausstoß im Verkehrssektor trotz großer Effizienzsteigerungen zugenommen, „was ein wunder Punkt in der Klimapolitik insgesamt bleibt“. Weitere Probleme sieht die OECD in den hohen Leistungsbilanzüberschüssen und bei den beruflichen Entwicklungschancen für Frauen.

Die Empfehlungen: Konkret mahnt die OECD eine Reform des Ehegattensplittings an, um mehr Anreize für Frauen zur Aufnahme einer Vollzeitbeschäftigung zu schaffen. Zugleich empfiehlt die OECD, den Ausbau der Ganztagsbetreuung sowie die Weiterbildung insbesondere von Niedrigverdienern und wenig Qualifizierten voranzutreiben. Darüber hinaus spricht sich die Organisation für Straßennutzungsgebühren und mehr Carsharing-Angebote aus. Um die Kosten für die Altersversorgung in Zaum zu halten, solle das gesetzliche Rentenalter an die steigende Lebenserwartung gekoppelt werden. „Deutschland kann auf vielen Erfolgen aufbauen und deshalb auch die Herausforderungen angehen“, resümierte Gurria.

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